Bürgermeister sieht Zukunft rosiger, als die regionale Planungsversammlung sie einschätzt
Von Florian Lerchbacher
Neustadt. „Es ist Zeit, die Stimme zu erheben“, sagt Thomas Groll, der als Bürgermeister von Neustadt so einiges am Entwurf des Regionalplans Mittelhessen zu kritisieren hat. Am markantesten – wenn auch für die Zukunft der Stadt vergleichsweise am unbedeutendsten – ist dabei der Punkt, dass der Junker-Hansen-Turm im Regionalplan nicht in der Liste der „besonders schützenswerten Kulturdenkmäler“ steht. „Der mächtige Festungsturm wurde um 1482 errichtet und ist ein Baukulturdenkmal von nationaler Bedeutung“, betont Groll und erinnert daran, dass das Wahrzeichen der Junker-Hansen-Stadt als größter Fachwerkrundbau der Welt gilt. Es sei also mehr als angezeigt, den Turm in der Liste aufzunehmen.
Doch das ist nur der Anfang. Neustadts Rathauschef hat vor allem die Befürchtung, dass die Vorgaben rund um die Gewerbeflächenausweisung die Stadt blockieren könnten – und sieht insbesondere die Prognose zur Bevölkerungsentwicklung kritisch. In dem Plan, den die Regionale Planungsversammlung etwa alle zehn Jahre aufstellt, um Ziele und Grundsätze für die Entwicklung in Mittelhessen festzulegen, wird Neustadt ein deutlicher Bevölkerungsrückgang prognostiziert: von 9 947 Bürgerinnen und Bürgern im Jahr 2020 auf rund 7 300 im Jahr 2035. Das entspricht einem Minus von 22,3 Prozent – und liegt weit über den Zahlen, die für andere Kommunen des Landkreises angesetzt werden. Er könne grundsätzliche verstehen, dass die Bevölkerungsentwicklung nach einem einheitlichen – aber theoretischen – Verfahren ermittelt werde. Es seien aber lokale Gegebenheiten nicht berücksichtigt worden. Und von denen gebe es nicht nur zwei oder drei, die gegen die prognostizierten Zahlen sprechen, sondern eine Vielzahl, moniert Groll.
Er verweist darauf, dass die Geburtenzahlen steigen und die Kindergartenplätze ausgebaut werden müssen, zahlreiche Menschen nach Neustadt gezogen seien und ein großes Baugebiet auf den Weg gebracht werde, die Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge mit Sicherheit noch länger in der Stadt bleibe (die Bewohnerinnen und Bewohner zählen bei der Einwohnerzahl dazu), ein Seniorenheim im Dezember 2021 eröffnet wurde, ein Investor ein Anwesen mit 16 Wohnungen in der Kernstadt baut und vieles mehr.
Vor allem aber steige die Attraktivität des Standortes Neustadt durch den Weiterbau der Autobahn 49 – sowohl für Privatleute als auch für Gewerbetreibende.
„Das sollte für ein Abweichen von der Norm reichen“, so der Bürgermeister – der auch noch den festgelegten maximalen Gewerbeflächenbedarf von fünf Hektar kritisiert: „Diese Vorgabe lehnen wir als zu gering ab“, sagt er und verweist auf das aus dem Weiterbau der A 49 resultierende Entwicklungspotenzial, das er für seine Heimat sehe. Allein 2021/2022 habe die Stadt im Gewerbegebiet „Am Gelicht“ fast drei Hektar Gewerbeflächen veräußert – und gegenwärtig arbeite man mit der Hessischen Landgesellschaft und dem Amt für Bodenmanagement an einer „Bodenordnung“ für den zweiten Bauabschnitt, da der erste Bauabschnitt „erfreulicherweise“ komplett verkauft sei. Lange habe die Stadt kaum Gewerbeflächen verkauft, doch die Situation habe sich eben grundlegend verändert. „Sollte es gelingen, die komplette Fläche von 6,5 Hektar in unsere Verfügungsgewalt zu bekommen, wird es eine große Nachfrage geben. Doch selbst die Flächen sollten nicht reichen: Viele junge Handwerksbetriebe haben bereits Interesse bekundet“, sagt Groll und verweist darauf, dass das Gebiet nur rund zwei Kilometer von einer Autobahnausfahrt entfernt liegen werde.
„Neustadt wird ein lukrativer Standort. Das wurde bei der Prognose zur Entwicklung von Gewerbeflächen und Bevölkerung nicht hinreichend berücksichtigt“, lautet das Fazit des Bürgermeisters, der nun hofft, beim Regierungspräsidenten beziehungsweise der Planungsversammlung Gehör zu finden – auch mit der Bitte, eine geplante Radschnellverbindung von Gießen nicht nur bis Stadtallendorf, sondern bis nach Neustadt beziehungsweise gar Schwalmstadt führen zu lassen.