Neustadt mach den ersten Schritt

Stadt wurde auf „Barrieren“ untersucht Umsetzung der Ergebnisse dauert für Groll mindestens 15 Jahre
Treppenstufen an Eingängen zu öffentlichen Gebäuden, eine zu kleine Schrift auf der Homepage der Stadt oder das Fehlen eines Behindertenbeauftragten – in Neustadt lauern zahlreiche Barrieren.
von Florian Lerchbacher
Neustadt. Elf Studenten des Studiengangs „Integrative Heilpädagogik“ der Evangelischen Fachhochschule Darmstadt hatten die Stadt Neustadt unter die Lupe genommen und auf Barrierefreiheit untersucht -mit dem Ergebnis, dass es für alte, kranke, behinderte oder ausländische Menschen dort zahlreiche Hindernisse gibt.
Bürgermeister Thomas Groll bezeichnete die Studie als gute Ergänzung zum Stadtentwicklungsgutachten. Die Anregungen seien aber nicht in 3 oder 5 Jahren umsetzbar, dies werde mindestens 15 bis 20 Jahre in Anspruch nehmen, ein Grund dafür seien die hohen Kosten, die mit den zahlreichen Umbauarbeiten einhergehen würden.
Für Anne Wippermann, die Leiterin der Behindertenhilfe der Diakonie Hephata, ist es aber schon ein gutes Zeichen, dass sich die Stadt Neustadt zur Untersuchung auf Barrieren bereiterklärte. Dies sei einer erster, wichtiger Schritt auf dem Weg, sich Probleme bewusst zu machen und diese letztendlich auch zu ändern. Neustadt sei auf dem Weg, eine Vorreiter-Position einzunehmen.
Die Anregungen der Studierenden waren vielfältig – sie reichten von baulichen Hinweisen wie zur Umgestaltung von Treppen über die Ernennung eines Behindertenbeauftragten bis hin zu Ideen für die Arbeitswelt oder die Freizeitgestaltung.
Hintergrund der Untersuchung ist, dass Hephata in Neustadt ein Gebäude für betreutes Wohnen einrichtet als Teil des neuen Konzeptes der Teilhabe: Menschen mit Behinderung sollen nicht mehr am Rand der Gesellschaft sondern mittendrin leben – aber auch ohne das Nachfolgegebäude des Deutschen Hauses leben bereits „Menschen mit Beeinträchtigung“ in Neustadt, 1 623 an der Zahl.
„Ich finde es wichtig, dass Sie nicht über sondern mit uns reden“, freute sich Hanke Tja-den, ein Behinderter aus dem Diakoniezentrum Hephata, der zu Gast in Neustadt war, als die Studenten ihre Studie vorstellten. Ein junger Rollstuhlfahrer, der in die Junker-Hansen-Stadt ziehen möchte, gab zu bedenken, dass besonders die Umgestaltung des Bahnhofs wichtig sei -dort lauern zahlreiche Hindernisse, angefangen von den Stufen am Eingang über die schwer zu öffnende Tür bis hin zu den Treppen, die den Zugang zum Gleis für Gehbehinderte nahezu unmöglich machen. „Wir wissen um die Schwierigkeiten und haben schon Kontakt zur Bahn und zum RMV aufgenommen -beide wollen aber kein Geld für den behindertengerechten Umbau geben“, entgegnete Groll.
Die Studierenden hatten sich für ihre Untersuchung verschiedener Bereiche angenommen. Bei „kommunale Verwaltung und Politik“ rieten sie der Stadt unter anderem, Behinderte in politische Gremien oder Arbeitskreise einzubinden, um Wünsche und Bedürfnisse stets im Blick zu haben. Um den Internetauftritt und somit die Informationspolitik zu verbessern sei es sinnvoll, die Schrift auf der Seite zu vergrößern, einfachere Sprache zu verwenden und eine Vorlesesoftware zu installieren. Zudem regten sie an, die im Rathaus ausliegenden Informationszettel mehrsprachig zu gestalten und zumindest eine russische und eine türkische Version bereitzuhalten – denn auch die Sprache könne eine Barriere sein.
Ein großes Defizit sahen die Studierenden in der Mobilität: Das vielerorts liegende Kopfsteinpflaster sei schwer begehbar, ein Blindenleitsystem fehle, in viele Gebäude führe nur ein Treppe, und auch die Nutzung des Anruf-Sammel-Taxis sei nicht barrierefrei, da die Mitnahmemöglichkeiten für Rollstuhlfahrer nicht uneingeschränkt seien. Die Studierenden gaben aber auch Anregungen, die leicht umsetzbar sind: Zum Beispiel regten sie an, die Fahrpläne an den Bushaltestellen niedriger zu hängen und überall für Sitzgelegenheiten zu sorgen.
Auf große Bereitschaft zur Integration stießen die Darmstädter bei ihrer Befragung der Vereine. Diese hätten überwiegend schon Erfahrung im Umgang mit körperlich oder psychisch Beeinträchtigten und seien größtenteils bereit, offen auf Behinderte zuzugehen.
Ein Problem sei, dass viele Veranstaltungsstätten jedoch nicht barrierefrei zugänglich seien – dies werde aber bei Umbauarbeiten inzwischen immer bedacht. Zudem seien die Vereine sehr offen und bereit, ihr Angebot auszuweiten und beeinträchtigten Menschen Unterstützung und Begleitung zu bieten.