Im „Quartier“ der Sozialen Stadt finden die Aktionen immer mehr Anklang
Von Florian Lerchbacher
Neustadt. „Wenn die Menschen nicht (oder nur sporadisch) zu uns kommen, dann gehen wir eben zu den Menschen.“ Diesen Gedanken verfolgen Svetlana Nerenberg und Martin Methfessel mit dem Quartiersmanagement beziehungsweise der Gemeinwesenarbeit seit einigen Monaten – und das mit vollem Erfolg. Das Gebiet rund um die Leipziger Straße ist seit dem Jahr 2016 ein sogenanntes „Quartier“ der „Sozialen Stadt“, doch so sehr sich die Mitarbeiter des Marburger Vereins BSJ auch bemühten: Nur wenige Anwohner kamen auf sie zu. Doch nach dem Ändern der Herangehensweise hat sich die Lage geändert, und zahlreiche Menschen nutzen das Angebot, bringen sich in Projekte ein und sorgen dafür, dass sich in der Nachbarschaft statt eines Gefühls des Nebeneinanders eins des Miteinanders verbreitet.
Beim Flohmarkt ging es auch um Kontaktpflege
So fand jüngst in der Thüringer Straße ein kleiner Flohmarkt statt, bei dem es weniger ums Kaufen und Verkaufen ging als vielmehr um die Kontaktpflege. Zahlreiche Menschen kamen zum Stöbern – doch eigentlich gab es viel mehr zu plaudern. „Ich bin gerne dabei“, sagt beispielsweise Heloisa Ferrante, die schon länger an Projekten zum Wohl der Gemeinschaft mitwirkt.
Für sie ganz normal: „Ich helfe gerne – und habe so schon sehr viele nette Menschen kennengelernt. Das genieße ich sehr“, erklärt sie, während sie sich mit Tino und Elisa, zwei Jungs aus der Nachbarschaft, um die Bewirtung der Flohmarktbesucher kümmert.
Dafür hat Methfessel extra die „Wandelbar“, das neue mobile Café der sozialen Initiativen der Stadt (die OP berichtete) ins Quartier gefahren. Ideen entwickeln und mitmachen – so lautet das Credo, das Ferrante besonders gut gefällt.
Doch immer mehr Bürger bringen sich ein: Jürgen Vogel macht beim Möbelbau mit, Mathilde Bradt hat einen Bücherschrank beziehungsweise eine Büchertauschbörse angeregt, die umgesetzt werden soll, ein Schachtreff ist auch schon angedacht, und Lydia Baier will eine Hausaufgabenbetreuung anbieten. „Keimzelle“ des Ganzen ist das ehemalige Heizhaus, das nahe den Wohnblöcken steht. Nerenberg berichtet, das leerstehende Gebäude schon länger im Blick gehabt zu haben – und eines Tages sei dann das Okay von der Neustadt Baumeister Quartier GmbH, der Eigentümerin der Blöcke, gekommen.
Doch damit nicht genug: Das Unternehmen aus Frankfurt habe auch noch 2 000 Euro beziehungsweise die Sanierung des Hauses gespendet, das nun für soziale Zwecke genutzt werden kann. Die Hausaufgabenhilfe soll künftig dort stattfinden, außerdem werden Sprechstunden angeboten – und jeden Donnerstag sind Methfessel und Nerenberg vor Ort: als Ansprechpartner, aber auch, um Projekte umzusetzen.
Weil es den Bewohnern der Blöcke nicht erlaubt sei, Gartenmöbel dauerhaft im Freien aufzustellen, fehle es den Menschen an Aufenthaltsqualität, erklärt Nerenberg. Daraus sei der Gedanke entstanden, selbige eben am alten Heizhaus zu schaffen – wo früher einfach nur ein Haufen Müllcontainer stand.
Dafür bauen die BSJ-ler gemeinsam mit Anwohnern Möbel und Blumenkübel aus Paletten. „Das bringt die Menschen zusammen. Man unterhält sich beim gemeinsamen Handwerken“, erklärt die Quartiersmanagerin und stellt heraus, dass beim gemeinsamen Anpacken eventuelle Berührungsängste in Vergessenheit geraten beziehungsweise Barrieren abgebaut werden. Es gebe also eine „Begegnung auf Augenhöhe“.
Meilenstein zur Förderung des sozialen Zusammenhalts
Jede Woche kämen neue Menschen dazu, sagt sie und erinnert sich an den Ausgangspunkt zurück: Es fand eine Müllsammelaktion statt, an der sich zunächst nur eine Handvoll Anwohner beteiligte, doch es gestellten sich immer mehr dazu – bis am Ende zahlreiche Bürger halfen und letztendlich zwei Container voller Unrat abtransportiert werden konnten. „Die Menschen wollen Wertschätzung erfahren“, weiß auch Bürgermeister Thomas Groll.
Und wenn das eben besser unmittelbar vor Ort geschehen könne, dann solle das eben so sein: „Das ist ein weiterer Mosaikstein, der den sozialen Zusammenhalt fördert. Das passt gut“, freut er sich und animiert die Anwohner dazu, den Treffpunkt donnerstags zu nutzen und ihre Anregungen und Wünsche für das Umfeld einzubringen.