Vertrauen ist das Zauberwort

Neustadt und Land finanzieren halbe Stelle, um Integration von Menschen aus Bulgarien und Rumänien zu fördern
Von Florian Lerchbacher

Neustadt. Mit finanzieller Unterstützung des Landes Hessen schafft die Stadt Neustadt eine halbe Stelle, die sie an die vom Verein bsj umgesetzte (und eigentlich auf die Unterstützung von Flüchtlingen ausgerichtete) Gemeinwesenarbeit andockt. Ziel des auf drei Jahre ausgelegten Projektes, für das sowohl das Land als auch die Kommune je 50 000 Euro investieren, ist es, rund 200 in der Kernstadt lebende Mitmenschen aus Rumänien und Bulgarien in die Gesellschaft zu integrieren – oder zumindest dafür zu sorgen, dass das Zusammenleben gefördert wird.
Bürgermeister Thomas Groll jedenfalls ist hin- und hergerissen – denn auf der einen Seite würden die Zugezogenen aus Osteuropa in der Kernstadt Gebäude kaufen, „die sonst keiner will“, und somit für Belebung sorgen. Auf der anderen Seite gebe es immer wieder Beschwerden über Ruhestörung und Müll, der achtlos weggeworfen werde – und das Einhalten der Schulpflicht sei auch nicht immer gewährleistet.
„Nicht, dass das missverstanden wird: Wie immer sind es einige wenige, die sich nicht an die Regeln halten und Probleme machen. Mit den meisten funktioniert das Zusammenleben problemlos“, sagt Groll und ergänzt, dass das Einhalten des Ordnungsrechtes für Konflikte sorge. „Es hilft aber nichts, wenn wir nur mit dem erhobenen Zeigefinger auftreten“, so der Bürgermeister. Die Menschen ließen sich besser durch die richtige Ansprache erreichen.
In Kooperation mit der Gemeinwesenarbeit, die sich um die Integration von Flüchtlingen kümmert, lasse sich dies gut erreichen. Leider seien an dieser Stelle Fördermittel gekürzt worden, aber über das Landesprogramm „Wir“ des Sozialministeriums, das die „Verbesserung der Integrationspolitik“ zum Ziel hat, ließe sich die Gemeinwesenarbeit ergänzen: „Die Kommunalpolitik braucht eine solche soziale Untermauerung.“ Es sei schließlich nicht immer einfach, Menschen zusammenzubringen: „Aber die Gemeinwesenarbeit ist eine Art Magnet, der die Menschen zusammenführt“, lobt Groll: „Die Erfahrungen der Neustädter mit der Gemeinwesenarbeit sind sehr gut.“
Die Kombination aus Ordnungsrecht und sozialer Ansprache sollen der im August in die Stadt kommende „Schutzmann vor Ort“ und eben der neue Mitarbeiter der Gemeinwesenarbeit schaffen. Dabei sei es von Vorteil, dass sich der bsj in der Stadt auch um die Jugendarbeit kümmert – und sich so aus Osteuropa stammende Kinder ansprechen und integrieren lassen.
„Einige sind auch schon zu uns gekommen“, sagt Annika Schlüter über die Arbeit im Büro in der Marktstraße und berichtet, dass viele von ihnen mit schwierigen sozialen und ökonomischen Verhältnissen umzugehen hätten: „Und die Häuser, in denen sie wohnen, sind oft in schlechtem Zustand.“ Ein großes Problem sei die fehlende Krankenversicherung: „Aber viele wissen auch nicht, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen.“
Sie und bsj-Geschäftsführerin Monika Stein haben fünf Ansätze entwickelt, um das Anliegen unter dem Motto „Von der Teilnahme zur Teilhabe“ umzusetzen. Erster Ansatz ist, die jungen Familien anzusprechen und sie etwa zu Angeboten des Familienzentrums oder zu Sportveranstaltungen beziehungsweise in Trainingsgruppen einzuladen: „Da hilft unser gutes Netzwerk in Neustadt“, sagt Stein. Wenn Kinder und Jugendliche sich begegnen und kennenlernen, steigere das die Akzeptanz untereinander und die Menschen bewegten sich aufeinander zu.
Baustein zwei soll ein noch zu entwickelndes und einmal die Woche stattfindendes Bewegungsprojekt für Kinder (insbesondere im Grundschulalter) und Jugendliche werden, Baustein drei ein Angebot für Familien – sodass beispielsweise alteingesessene Familien und Zugezogene gemeinsam ein Wochenende lang wegfahren.
Als Baustein vier sind Nachbarschaftstreffen vorgesehen, damit die Menschen nicht nur übereinander sondern auch miteinander reden.
Baustein fünf besteht aus dem Aufgreifen von Gedenkkultur. „Wir möchten beispielsweise herausfinden, ob Sinti und Roma hier lebten – und wie sie hier lebten“, sagt Groll – und weist ebenso wie Schlüter gleichzeitig darauf hin, dass „Sinti und Roma“ und „Rumänen und Bulgaren“ natürlich nicht deckungsgleich seien. Die Wahrscheinlichkeit sei aber groß, dass einige dieser Gruppe angehörten. „Und das ist natürlich eine Gruppe, die schon immer von Ausgrenzung betroffen war und stigmatisiert ist“, betont Stein – entsprechend sei nicht zu erwarten, dass die seit Jahrhunderten zumeist unter sich lebende Gruppe von sich aus auf die Neustädter zukommt: „Wer immer ausgegrenzt wird, traut sich nicht unbedingt, den Kontakt zu suchen.“ Und dann wäre da noch die (ebenfalls vom bsj umgesetzte) Schulsozialarbeit, die ebenfalls auf die Menschen aus Osteuropa zugehen soll – mit dem Ziel, dass die Kinder regelmäßig zur Schule gehen.
Erster Schritt sei, herauszufinden, warum die Eltern ihre Kinder nicht zur Schule schicken. „Wir müssen es schaffen, dass sie Vertrauen in das staatliche Schulsystem gewinnen“, sagt Stein und betont, dass Vertrauen bei diesem Projekt ohnehin das Zauberwort sei. Viele der Menschen würden aufgrund der über Generationen erfahrenen Ausgrenzung voll auf das Familiensystem setzen, das die bestmögliche Sicherheit bedeute. Es gelte nun zu zeigen, dass sie in Neustadt willkommen sind – und aus dem Familienbund auf die Gesellschaft zugehen können (und umgekehrt). Der Projektbeginn ist für den 1. September vorgesehen.