Stadtverordnetenversammlung am 22. Juni 2020 Bürgermeister Groll: „Wir werden die Auswirkungen der Corona-Pandemie meistern“

Erstmals seit Februar kam die Stadtverordnetenversammlung wieder zu einer Sitzung zusammen. Franz-W. Michels begrüßte die Fraktionen von CDU, SPD und FWG sowie die Mitglieder des Magistrats und die Ortsvorsteher diesmal im Momberger Dorfgemeinschaftshaus. In momentaner Ermangelung eines Bürgerhauses in der Kernstadt ist dessen Saal, aktuell zugelassen für 38 Personen, die größte Versammlungsstätte in der Kommune. Schriftführerin Gitta Kurz hatte das Gebäude mit dem Hausmeister entsprechend vorbereitet. Die Stühle standen auf Abstand, nur das Ehepaar Georgi von der CDU-Fraktion durfte nebeneinander sitzen. Es gab einen Eingang und einen Ausgang, Desinfektionsmittel stand bereit. Eben eine Zusammenkunft unter besonderen Vorzeichen.
Die Stadtverordneten stimmten allen bereits in der letzten Woche in den Fachausschüssen behandelten Magistratsvorlagen einstimmig zu. SPD-Fraktionsvorsitzender Hans-Gerhard Gatzweiler merkte bezüglich der beiden geplanten Photovoltaik-Freiflächenanlagen an, dass dies ein weiterer Schritt hin zur Energiewende sei. Er zeigte sich erfreut darüber, dass es gelungen sei, den Grundsatzbeschluss der Stadtverordnetenversammlung gegenüber der Fa. ENERPARC aus Hamburg durchzusetzen und über die Energiegenossenschaft Vogelsberg Wertschöpfung für die Bürger der Kommune zu generieren (siehe die Berichterstattung über den Fachausschuss II).
Der Bürgermeister informierte zunächst die Versammlung über die bereits im April eingegangene Haushaltsgenehmigung des Landkreises. Landrätin Fründt hob darin die stabile Entwicklung der kommunalen Finanzen in Neustadt in den letzten Jahren hervor. Die Ergebnisse einer Prüfung des Landesrechnungshofes wurden den Fraktionsvorsitzenden ebenfalls vorgelegt. Auch die darin enthaltenen Aussagen waren für Neustadt positiv. Hierüber werden die Gremien im August beraten.
In den Mitteilungen des Magistrats verwies der Bürgermeister nochmals darauf, dass der Ortsbeirat in der Kernstadt in Ermangelung eines Ortsvorstehers aufgelöst werden musste.
Außerdem berichtete Groll, dass für das geplante Seniorenheim mit Tagespflege und betreutem Wohnen in der Marburger Straße inzwischen einige Teilbaugenehmigungen eingegangen seien. So dürfe das Anwesen vom Schloss abgerissen und mit Erdarbeiten für die zwei neuen Gebäude begonnen werden. Das an das Anwesen vom Schloss angrenzende Wohnhaus, so der Bürgermeister, sei nach seiner Kenntnis noch vom Investor erworben.
Seit der Sitzung des Fachausschusses II fand die Ausschreibung zweier weiterer Gewerke für das Freibad statt. Die Auftragssumme mache rund 25 Prozent der noch zu vergebenden 500.000 Euro aus. Der Bürgermeister konnte mitteilen, dass die Vergabe „leicht unterhalb“ der Kostenschätzung erfolge, was positiv sei. Hans-Gerhard Gatzweiler wollte wissen, ob Gerüchte zutreffen, die
von einer Schließung des „Bau-Spezi“ im Frühjahr 2021 sowie einer möglichen Ansiedlung eines Baumarktes im REWE-Markt am „Kaufpark“ wissen wollen. „Dass der REWE dort oben neu gebaut werden soll, ist offiziell bekannt. Aktuell läuft ein Antrag auf Abweichung vom Regionalen Raumordnungsplan. Ich bitte um Verständnis, dass ich mich zu Details nicht äußern kann, aber die Urheber der Gerüchte scheinen grundsätzlich gut informiert zu sein. Wenn etwas für uns Wichtiges an einer Stelle geht, sollte es an anderer Stelle durchaus wieder angesiedelt werden. In solche Gespräche bin ich eingebunden“, antwortete Bürgermeister Thomas Groll.
Eine Anfrage des FWG-Fraktionsvorsitzenden Karsten Gehmlich befasste sich mit dem Starkregenereignis vom 17. Juni 2020. Er bat unter anderem um Informationen, ob es „kosten- und aufwandsvertretbare Maßnahmen gibt, die den Wasserfluss verbessern und das Schadensrisiko minimieren“.
Thomas Groll zollte in seiner Antwort zunächst den Anwohnern Respekt für den Umgang mit dem ersten großen Starkregenereignis seit September 2011 und dankte nachmals allen Helferinnen und Helfern der Freiwilligen Feuerwehren, des Technischen Hilfswerkes und des Bauhofes. Völlig zu Recht, so der Bürgermeister, erwarteten die Betroffenen ein Tätigwerden der Kommune. Dies sei allerdings ein breitgefächertes Unterfangen, das auch rechtlich und finanziell umsetzbar sein müsse. Er wolle nicht populistisch etwas versprechen, um dann unter Umständen zurückrudem zu müssen. Nach den letzten großen Unwettern habe die Kommune zwei Studien in Auftrag gegeben. Eine von der Universität Gießen verfasste habe sich vorrangig mit Maßnahmen befasst, die von den „Im Heidental“ wirtschaftenden Landwirten umgesetzt werden können. Die Kommune habe daraufhin ein Förderprogramm zur Unterstützung geänderter Bewirtschaftungsweisen aufgelegt, das trotz Werbung leider anfangs nur vereinzelt und nun kaum noch in Anspruch genommen werde. Der Bürgermeister stimmte grundsätzlich Feststellungen von Betroffenen zu, die in der knapp 100 Hektar großen Gemarkung „Im Heidental“ mehr Grünland, breitere oder tiefere Gräben, breitere Feldraine, kleinere Schläge und weniger Maisanbau forderten. „Diese Analyse stimmt durchaus. Sie wird von Experten im Wesentlichen bestätigt. Gegenwärtig lässt sich dies aber nicht so einfach umsetzen. Dies wäre, wenn ich einmal plakativ antworte, auf die Schnelle vielleicht in Nordkorea möglich, aber nicht bei uns. Wir müssen mit den Grundeigentümern und den Bewirtschaftern reden. Grunderwerb tätigen und vieles mehr“, stellte Groll fest, der zugleich aber davor warnte, die Bauern zu „Schuldigen“ zu machen. „Wenn im Rahmen der guten fachlichen Praxis Felder bestellt werden, dann ist dies nicht zu beanstanden. Die Landwirte richten sich zudem nach den Gegebenheiten des Marktes.“ Trotzdem sieht auch der Bürgermeister hier den richtigen Ansatzpunkt. Das Zauberwort lautet dabei für ihn „Flurbereinigung im Zuge des Weiterbaues der A 49“. „Als Vorsitzender der die Flurbereinigung begleitenden Teilnehmergemeinschaft habe ich bereits nach dem Starkregen vom Mittwoch mit dem Amt für Bodenmanagement Kontakt aufgenommen und das Thema dort platziert. Im zu erstellenden Wege- und Gewässserplan müssen sich unter anderem zusätzliche und tiefere Gräben, die Anpflanzung von Hecken, Mulden und veränderte Bewirtschaftungsrichtungen der Felder wiederfinden. Das sind wir den Menschen in den Hochwasser und Schlamm betroffenen Straßen schuldig. Für diese Vorhaben, die sich sicher einer Investition von einer Million Euro annähern dürften, können wir nach meinen Recherchen durchaus mit 70 (plus x) Prozent Zuschuss rechnen. Das Thema werde ich bei der nächsten Sitzung der Teilnehmergemeinschaft im Herbst erneut ansprechen. Wir sollten die Neugestaltungskonzeption 2021/22 auf den Weg bringen. Bis diese Rechtskraft erlangt, dauert es dann etwa zwei Jahre. Das Amt für Bodenmanagement geht gegenwärtig davon aus, dass in Abhängigkeit vom Weiterbau der A 49 Schwalmstadt-Stadtallendorf 2025/26 mit der Umsetzung begonnen werden könnte. Die Flurbereinigung hat den großen Vorteil, dass alle Flächen in einen Pool wandern und dann neu zugeteilt werden. Hier kann man solche großen Umwälzungen durchsetzen. Mir ist bewusst, dass hier noch Geduld erforderlich ist, aber dann könnten wir tatsächlich einiges umsetzen. Aber auch dann gibt es natürlich absolute Sicherheit“, so der Bürgermeister. Groll verwies auch auf eine Studie, die „Im Heidental“ Rückhaltebecken und Schlammfänge (einschließlich Planung und Grunderwerb) für rund 1,8 Millionen Euro vorgesehen hat. Die Kosten dürften sich also heute deutlich über 2 Millionen. Euro bewegen. Hier müsste die Kommune wohl zumindest 750.000 Euro investieren, kann sich aber – anders als bei der Flurbereinigung – nicht sicher sein, dass auch die benötigten Flächen überhaupt bereitstehen. Im Hinblick auf die Flurbereinigung habe man auch bisher keine Zeit verloren, da die Planungen und anderes in Abhängigkeit zum Weiterbau der A 49 stehen. Positiv sei hier sicher, dass der VKE 30 Schwalmstadt-Stadtallendorf, der ursächlich für das Flurbereinigungsverfahren sei, juristisch unstrittig sei.
Eine weitere Anfrage des FWG-Fraktionsvorsitzenden vom Sitzungstag zum Förderprogramm „WIR arbeiten mit Südosteuropäern“ hatte wie Stadtverordnetenvorsteher Franz-W. Michels und SPD-Fraktionsvorsitzender Hans-Gerhard Gatzweiler kritisch anmerkten, den Charakter einer Großen Anfrage und hätte daher eigentlich erst in der nächsten Sitzung im August behandelt werden dürfen. Bürgermeister Groll war es aber wichtig, bereits jetzt ausführlich zu antworten. Karsten Gehmlich sah das Programm – die Kommune erhält bis 2023 50.000 Euro vom Land und muss noch einmal denselben Betrag aufbringen – kritisch und hielt es für diskussionswürdig. „Diese Diskussion hätten wir bei der Haushaltsberatung im Januar/Februar führen sollen, denn da lagen bereits alle Tatsachen auf den Tisch“, stellte der Bürgermeister fest und zitierte längere Passagen aus seiner damaligen Haushaltsrede. Seinerzeit hatte er die Stadtverordneten bereits über die Art des Programms, den Einsatz „einer Art Streetworker“ und die Kosten informiert. Keiner könne also über die jetzige Veröffentlichung überrascht gewesen sein. „Wenn bereits über 200 Menschen aus Rumänien und Bulgarien bei uns leben und immer noch weiterer Zuzug stattfindet, den wir nicht verhindern können, da es sich um EU-Bürger handelt, und die Menschen Kinder bekommen, dann würde ich nicht mehr von einer kleineren Gruppe sprechen“, ging Groll auf eine entsprechende Aussage Gehmlichs ein. Der Bürgermeister berichtete davon, dass diese Menschen der Verwaltung vielfältig und regelmäßig Arbeit machen würden. Dass gehe von den benötigten Kindergartenplätzen über mangelnden Schulbesuch, die leidlich bekannte Müllproblematik über Nachbarschaftsbeschwerden bis hin zu Ordnungswidrigkeiten und auch Straftaten. „Hier bedarf es eines permanenten Ansprechpartners. Nur mit dem Ordnungsrecht kommen wir nicht weiter. Der Schutzmann vor Ort, der ab Mitte August seinen Dienst antreten wird, braucht hier Unterstützung“, betonte Thomas Groll. „Ich bin nicht blauäugig. Natürlich tun sich diese Menschen mit der Integration schwer, natürlich gibt es Straftaten, natürlich verhält man sich oftmals nicht so, wie wir es erwarten würden. Aber was sollen wir tun? Die Augen verschließen? Auf den Staat warten? Aufgeben? Parallelgesellschaften entstehen lassen? Ist das die Lösung? Nein. Ich meine vielmehr, wir sollten aktiv werden. Wenn wir nicht selbst etwas tun, dann hilft uns keiner“, so der Bürgermeister. Er stimmte der Nachfrage von Hans-Gerhard Gatzweiler zu, der wissen wollte, ob diese Maßnahme auch zum KOM- PASS-Programm, der Sicherheitsoffensive an der die Kommune teilnimmt, gehört. „Wenn wir finanzielle Hilfe vom Land wollen, müssen wir im Gegenzug auch bereit sein, uns einzubringen. Die Gemeinwesenarbeit hat diesen Themenkomplex in der Vergangenheit mitbetreut. Wenn die Menschen angesprochen wurden, waren zumindest kleine Erfolge spürbar. Hierauf müssen wir mittelfristig aufbauen. Natürlich werden wir auch mit einer halben Stelle die Problematik nicht zu unserer vollen Zufriedenheit lösen, ich setze aber auf kleine Erfolge. Unser Partner bsj wird versuchen, über die Kinder und Jugendlichen auch die Erwachsenen zu erreichen“
Ausführlich ging Thomas Groll auch in dieser Sitzung auf die Corona-Pandemie und deren Auswirkungen auf die Stadt Neustadt (Hessen) ein. Er dankte allen, die seit Mitte März in den unterschiedlichsten Bereichen „ihre Frau oder ihren Mann gestanden hätten und so dafür sorgten, dass der Laden läuft“. Er nannte in diesem Zusammenhang auch einmal die Erzieherinnen der Kindergärten und die Mitarbeitenden der Stadtverwaltung.
Der Bürgermeister hob auch die insgesamt große Disziplin der Bevölkerung hervor. Man musste seitens des Ordnungsamtes keine Verfahren einleiten und sei im Bedarfsfall durch „mahnende Gespräche“ vorwärts gekommen. Auch das gute Miteinander mit der Erstaufnahmeeinrichtung in diesen „Krisenzeiten“ betonte Groll. Er verwies nochmals darauf, dass die Kommune aktuell über eine Rücklage von rund 2 Millionen Euro verfüge. Aufgrund der Kostenentwicklung bei den laufenden Großbaumaßnahmen – siehe die Ausführungen Groll in der letzten Sitzung des Fachausschusses II – geht der Kämmerer aktuell davon aus, dass man hiervon bis zu 650.000 Euro in Anspruch nehmen müsse. „Dies wäre ein insgesamt guter Verlauf bei den investiven Projekten, den wir als vorsichtige
Haushälter so auch eingeplant haben. Auf diese Entwicklung habe ich ja in meinen Haushaltsreden der letzten Jahre immer hingewiesen. Was aber nicht planbar war, ist die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen“, stellte Thomas Groll fest. Wieviel der verbleibenden knapp 1,3 Millionen Euro zur Stabilisierung des städtischen Haushaltes benötigt werden, kann der Bürgermeister aufgrund der noch recht dünnen Faktenlage derzeit nur schwerlich einschätzen. „Läuft es gut für uns und beim kommunalen Finanzausgleich gibt es 2021 keine Ausfälle könnte sich der Betrag auf rund 500.000 Euro belaufen. Im schlimmsten Fall wären unsere Kassen aber leer. Dies wäre bedauerlich, aber nicht zu ändern. Gut, dass wir aufgrund unserer soliden Finanzpolitik, des aktiven Fördermanagements, der Sonderzahlungen für die Erstaufnahmeeinrichtung und der allgemein guten Wirtschaftslage bis März 2020 eine solche Rücklage überhaupt aufbauen konnten, sie lässt uns handlungsfähig bleiben.“ Vergessen dürfe man auch nicht, dass die Kommune ohne Kreditmittel gegenwärtig über 12,5 Millionen Euro in den Erhalt und Ausbau der Infrastruktur investiere. „Hiervon werden auch noch kommende Generationen profitieren“, ist sich Groll sicher. Der Kommune stehen noch über eine Million Euro aus der „Hessenkasse“ zur Verfügung. Gegebenenfalls müsse es hier Umplanungen geben, um notwendige Vorhaben umsetzen zu können. Wenn es trotzdem nicht anders geht, hält der Bürgermeister aber auch die Aufnahme von Krediten für verantwortbar. „Seit 2017 haben wir fast 1,5 Millionen Euro Schulden abgebaut, wenn wir nun beispielsweise für zwei, drei Jahre jeweils 400.000 Euro aufnehmen müssten, so käme es aufgrund der laufenden Tilgungen zu keiner Nettoneuverschuldung und wir könnten unsere geplanten Vorhaben dennoch umsetzen.“ Ziel des Kämmerers ist es, alle in der mittelfristigen Finanzplanung bis 2023 enthaltenen Projekte, unter Umständen mit geringer zeitlicher Verschiebung, umzusetzen. „Dies ist auch ein Signal an unsere Stadtteile Mengsberg, Momberg und Speckswinkel. Nachdem gegenwärtig die Kernstadt investiver Schwerpunkt ist, gilt bis 2024 der Dorfentwicklung besondere Aufmerksamkeit“, stellte der Kämmerer heraus. Dazu käme aufgrund des vorhandenen Bedarfs noch der Anbau einer weiteren Gruppe an die Kindertagesstätte „Regenbogen“ hinzu. Ob es durch neue Förderprogramme noch weitere Projekte gibt, ist derzeit nicht absehbar. „Aber wir müssen das alles auch arbeitsmäßig leisten können. Mit der gegenwärtigen Personalausstattung würde dies äußerst Schwierig, denn das Tagesgeschäft muss auch bewältigt werden.“ Klarere Aussagen für die Zukunft werde wohl der Haushalt 2021 enthalten. Dessen Einbringung sollte aufgrund eines Ratschlages der Landesregierung „so spät wie möglich“ erfolgen, um den notwendigen Planungserlass des Landes berücksichtigen zu können, denn ohne dessen Zahlen kann ein Haushalt nicht seriös erstellt werden. Es könne sein, so der Bürgermeister, dass der Haushalt erst Anfang Januar eingebracht und dann Ende Februar verabschiedet werde. „Einiges wird anders sein. Manches unvermutet, aber ich bin mir sicher, dass wir die Auswirkungen der Corona-Pandemie meistern werden.“ Seine Ausführungen beendete Bürgermeister Thomas Groll mit einem Zitat des chinesischen Philosophen Laotse: „Wer sein Ziel kennt, der findet den Weg.“