Was wäre, wenn der Bahnhof reden könnte?

Stadt Neustadt gibt Werk zur Geschichte ihrer Zugstation heraus
Von Michael Rinde
Neustadt. Im nächsten Jahr feiert die Stadt Neustadt ihre erste urkundliche Erwähnung vor 750 Jahren. Ein Anlass, auch auf die Stadtgeschichte zurückzuschauen und dabei auf Aspekte wie auch Gebäude zu blicken, deren Historie nicht jedem geläufig sind. Ein solches Gebäude ist der Bahnhof. Die Stadt fand in dem Geographen und Historiker Dr. Lutz Münzer einen geradezu prädestinierten Autor. Jetzt stellte die Stadt das vollendete Werk, das Buch „Bahnhof Neustadt – Aus der Geschichte einer kleinen Station an einer großen Bahn“ offiziell vor.

Zur Buchvorstellung war mit Dr. Klaus Vornhusen kein geringerer als der Regionalbevollmächtigte der Deutschen Bahn für Hessen gekommen. Und natürlich Autor Lutz Münzer, aber auch die Eisenbahnfreunde. Vornhusen machte beim Grußwort klar, was von Anfang galt: „Auch die große Eisenbahn lebt davon, dass aus allen Richtungen Menschen zusammenkommen“, sagte er mit Blick auf die Bedeutung kleinerer Bahnhöfe und Stationen. Neustadts Bahnhof existiert seit 1850.

Lutz Münzer stand bei seiner Arbeit an dem Buch vor der Herausforderung, dass es über den Bahnhof Neustadt an der Main-Weser-Bahn kaum Veröffentlichungen gibt. Er stützte sich auf eigene Archivrecherche und war überrascht, was sich alles im Staatsarchiv in Marburg finden ließ. Am Anfang war er einmal von einer etwas 40 Seiten langen Arbeit ausgegangen, am Ende sind es 130 Seiten geworden.

Die sind reich bebildert mit manchem historischen Bild. Freunde der Dampflokomotiven werden in dem Buch so einiges entdecken. Hätten Sie gewusst, dass Neustadt mal eine Art Verkehrsknoten war dank der Postkutschenverbindung nach Alsfeld? Die Alsfelder Reisenden mussten auf die Kutsche zurückgreifen, um zu einem Bahnhof zu kommen, eben zu dem in Neustadt.

Untrennbar ist Neustadt mit der Main-Weser-Bahn verbunden. Angeblich hatte es bei der Planung der Streckenführung der Main-Weser-Bahn mal die Überlegung gegeben, sie über Momberg und Speckswinkel zu führen, Neustadt wäre wohl außen vor geblieben. Auch das ist bei Münzer nachzulesen, der sich seit den 1980er-Jahren mit der Main-Weser-Bahn-Geschichte befasst. Doch dazu kam es nicht. Am 4. März 1850 wurde der Abschnitt Treysa-Kirchhain freigegeben, wie Münzer auflistet.

Er selbst verweist darauf, dass die Aktenlage zu den verschiedenen Epochen der Bahnhofshistorie sehr unterschiedlich ausfällt. Über die Neustädter, die einst bei der Bahn arbeiteten, gibt es zum Beispiel kein Material. „Personalakten sind im Staatsarchiv rar“, sagt Münzer bei der Präsentation seiner Arbeit.

Das Buch berichtet auch von Einschnitten, etwa die Zeit der Kriege 1870, des Ersten und des Zweiten Weltkrieges. Bürgermeister Thomas Groll fragte sich bei der Veranstaltung wie auch in seinem eigenen Vorwort, wie es wohl wäre, wenn das alte Gebäude erzählen könnte. Von den Menschen, die bei Beginn des deutsch-französischen Krieges oder bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges jubelnd in den Krieg gezogen seien etwa. Oder auch von den Neustädter Juden, die von dort aus zunächst nach Weimar-Roth zwangsumgesiedelt wurden – um dann deportiert zu werden.

Ein Wunschzettel an die Bahn

Als größten Fehler in der jüngeren Geschichte im Zusammenhang mit dem Bahnhof bezeichnet Groll es rückblickend, dass die Stadt das Gebäude seinerzeit nicht selbst gekauft habe. Vier Jahre lang sei dort nun nichts geschehen. Er hoffe, es gebe eine erneute Kaufmöglichkeit.

Groll nutzte den Besuch von Klaus Vornhusen für einen „Wunschzettel“ beim Bahnhof. Es wäre doch schön, wenn Vornhusen im Herbst nächsten Jahres in Neustadt verkünden könnte, das der dortige Bahnhof auch barrierefrei ausgebaut wird. Lutz Münzer rechnet damit ganz offenbar. „Vieles spricht dafür, dass es zu einem Umbau kommt, etwa vergleichbar dem aus dem Jahr 1910“, meinte der Historiker. Auch über dieses Ereignis lässt sich in Münzers Buch etwas nachlesen. Das Land Hessen hat das Buchprojekt mit einem Betrag von 5 000 Euro gefördert.