Wie aus Kommunikation Kunst wird

Kunst- und Kulturpfad soll entstehen • Mit einem Zähneknirschen gibt es Geld für Bahnhof-Sanierungspläne
ln der Stadt Neustadt sollen Kunst und Kultur die Menschen einander näherbringen. Am Montag gab es im Vorfeld der Stadtverordnetenversammlung eine erste Präsentation zum Thema.
von Florian Lerchbacher
Neustadt. „NEUwieNEUstadt. Kunst+Kommunikation“ lautet der Titel einer Studie, die Dr. Christoph Schneider, Marlit Pei- kert und Beat Hodel in Zusammenhang der „Sozialen Stadt“ erstellt haben. Für die Umsetzung der Theorie in die Praxis gibt es aus dem Städtebauförderprogramm allerdings keine Fördermittel, betonte Bürgermeister Thomas Groll – der stattdessen aber auf Geld aus dem Regionalentwicklungsprogramm „Leader“ schielt.
Ziel ist es, in Neustadt einen Kunst- und Kulturpfad zu erstellen. „Vor Ort Atmosphäre schaffen“, nannte Groll als Schlagworte. Ein solches Projekt sei schließlich eine Besonderheit und locke später Menschen in die Stadt. Doch ein vorhergehender Schritt ist dem jüngst wiedergewählten Rathauschef noch wichtiger: „Kultur hat viel mit Sozialem zu tun. Sie bringt Schichten der Bevölkerung zusammen, die sonst vielleicht nichts miteinander zu tun haben.“ Genau das stand auch im Vordergrund der noch sehr theoretischen Studie.
„Zu- und Abwanderung seit 1945“ soll das Thema des Kunstprojektes sein, erklärte Schneider und erinnerte an „verschiedene Flüchtlingsströme aus dem Osten, Wellen von Gastarbeitern aus Italien, Spanien und der Türkei und die Flucht in heutigen Zeiten“. In Neustadt spiele dies angesichts von 31 Nationalitäten, die im Stadtgebiet vertreten sind, eine zentrale Rolle: „Und dieser Situation sollte man auch begegnen.“
Ein erster möglicher Schritt sei, die Stadtchronik weiterzuführen und zu fragen, wer wann nach Neustadt gekommen ist – diese Information fehle bisher noch: „Das muss auch nicht trocken historisch-wissenschaft
lich sein, sondern könnte in einem künstlerischen Kontext geschehen.“ Bereits für diesen Schritt wäre ein gewisses Maß an Kommunikation notwendig. „Wir müssen Spielräume schaffen für einen Austausch“, sagte Schneider – das öffentliche Leben spiele sich schließlich sonst in geregelten Bahnen ab, zum Beispiel in Kirche und Vereinen, die aber bereits in einem festen Kontext stünden. „Neue, temporäre Kunstorte“ könnten die Menschen indes unbefangen und offen besuchen und das öffentliche Leben „anders passieren“. Dabei sei auch ein Input von außerhalb denkbar: „Wenn Ideen von außen geliefert werden, können Menschen vor Ort sie mit Leben füllen. So wird Kunst zur sozialen Handlung.“
Als erster Schritt müsste also ein solcher „temporärer Kunstort“ geschaffen werden. Auch dafür präsentierte Schneider Ansätze – gegliedert nach unterschiedlichen „Handlungsfeldern“. Beispiele dafür seien „Haus, Garten, Pflanzen“, „Essen und Kochen“ oder „Kunst, Kultur und Kreativität“. Also Themen, mit denen sich nahezu jeder Mensch aufgrund eigener Erfahrungen identifizieren kann – aber eben auch Themen, mit denen jeder Mensch unterschiedlich umgeht beziehungsweise sie umsetzt. Die Bürger sollen ihre Ansichten miteinander teilen, so ins Gespräch kommen und sich gegenseitig bereichern. Schneider nannte zum „Handlungsfeld Handarbeit“ auch ein Beispiel: In einem Projekt hätten zahlreiche Frauen zusammengesessen, Deckchen gehäkelt und diese nach einer gewissen Zeit an die Nachbarin weitergegeben, damit diese die Arbeit auf ihre Art und Weise fortsetzt: „So wird es zu einem Gruppenprozess, der auch die Kommunikation anregt.“
Auch für die „temporären Kunstorte“ hatte Schneider Beispiele aus anderen Projekten: Eine Tribüne aus Paletten, ein rund um die Uhr nutzbarer Tanzboden im öffentlichen Raum oder schlicht Container, die an einem zentralen Platz stehen. Marlit Peikert hatte dafür das Stadtgebiet unter die Lupe genommen. Als mögliche Stellplätze nannte sie die Leipziger Straße, den Marktplatz, den Bahnhof und den Bürgerpark.
Die Stadtverordneten müssen all die noch sehr theoretischen Ansätze nun erst mal sacken lassen. Was nun wirklich umgesetzt wird, steht noch lange nicht fest. Karl-Heinz Waschkowitz (SPD) erkundigte sich noch, ob die Stadtteile einbezogen werden könnten. Groll entgegnete, dass dies möglich sei – da aber die 10 000 Euro teure Studie (aus der Stadtkasse wurden dank der Förderung nur 2 500 Euro fällig) über die „Soziale Stadt“ gefördert wurde, hätten aber zunächst die entsprechenden Bereiche der Kernstadt im Fokus gestanden. ■ Die eigentliche Stadtverordnetenversammlung handelten die Neustädter im Anschluss an die Präsentation recht schnell ab. Hans-Gerhard Gatzweiler (SPD) erklärte, warum er eine Anfrage rund um die Verpflegung im Kindergarten gestellt hatte: Die Kreistagsfraktion habe von Unzufriedenheiten mit der Versorgung an Schulen gehört und sammele daher Informationen.
Thomas Groll erläuterte die Antworten auf die Anfrage. Er berichtet unter anderem, dass das Essen aus einer mehrfach prämierten Menü-Manufaktur stamme und Küchenkräfte es noch durch frische Komponenten ergänzen würden. Der Selbst-Test habe ergeben, dass die Mahlzeiten durchaus genießbar seien – und auch die Rückmeldungen von Kindern, Eltern und Erziehern seien gut.
Immerhin einmal mussten die Stadtverordneten auch noch abstimmen: Sie beauftragten – wenn auch mit einem gemeinsamen Zähneknirschen – den Magistrat einstimmig, die Herstellung der Barrierefreiheit am Bahnhof Neustadt für die Rahmenvereinbarung über die Modernisierung und Qualitätsverbesserung von Bahnhöfen in Hessen anzumelden. Sie segneten auch ab, dass die Kommune die Hälfte der Planungskosten (rund 40 000 Euro) für das Projekt trägt. „Ich weiß, man könnte sagen, dass wir die Katze im Sack kaufen“, kommentierte Groll und betonte: „Wir wissen nämlich nicht, ob unser Bahnhof dann auch barrierefrei gemacht wird. Aber wenn wir diese beiden Schritte nicht gehen, dann wird gar nichts passieren. Also sollten wir dafür stimmen und dabei die Fäuste etwas ballen.“