Auch Neustadt plant Stolpersteine

Die Klasse 10a der Martin-von-Tours-Schule bringt Projekt voran
Von Michael Rinde
Neustadt.
Sie tragen dazu bei, dass die Opfer der Shoa, der Ermordung von 6 Millionen Juden in Europa, im Bewusstsein bleiben: Stolpersteine. Jetzt ist klar, dass auch in Neustadt und wohl auch in Momberg in den nächsten Jahren Stolpersteine verlegt werden. Möglich wird dies vor allem auch dank des Einsatzes von Schülern der Martin-von-Tours-Schule. Die Klasse 10a hat sich des Themas angenommen – gemeinsam mit ihrem Lehrer Roman Mehler.
Alte jüdische Gemeinde

30. Januar 1933 ergriff Adolf Hitler die Macht, die Katastrophe nahm ihren Anfang. Zum Jahrestag dieses furchtbaren Ereignisses präsentierte die Stadt Neustadt das Projekt Stolpersteine der Schülerinnen und Schüler. Die Stadt unterstützt das Projekt unmittelbar, nicht nur ideell, sondern auch ganz praktisch über ihre Stadtarchivarin Andrea Freisberg. „Ich bin der Schule für ihren Einsatz sehr dankbar“, würdigte Bürgermeister Thomas Groll das Engagement der Jugendlichen. Sie haben eine klare Haltung zum Umgang mit der Judenverfolgung in Neustadt. Stolpersteine seien ein Weg, an die Namen der einstigen Neustädter zu erinnern, so formulierte es eine Schülerin bei der Präsentation im historischen Rathaus. Zumal die Nachbarstädte Neustadts wie Stadtallendorf oder auch Kirchhain seit Jahren Stolpersteine verlegen. In Stadtallendorf sind die Verlegungen seit vergangenem Herbst sogar abgeschlossen.

In Neustadt existierte seit dem 16. Jahrhundert eine jüdische Gemeinde, in Momberg seit dem 18. Jahrhundert, wie Groll berichtet. Im Jahr 1933 lebten in der Stadt 89 Juden, was 4 Prozent der damaligen Neustädter Bevölkerung ausmacht. Im seinerzeit selbstständigen Momberg waren es 31. Bis zum Ende des Nazi-Terrors im Mai 1945 wurden 70 der Neustädter Juden ermordet, in Momberg waren es 14. Diese Zahlen zeigen das Ausmaß der Ereignisse.

Die Neustädter Schüler haben sich mit vier jüdischen Familien in Neustadt bisher genauer auseinandergesetzt und ihre Historie beziehungsweise ihre Stammbäume betrachtet. Bei der Präsentation im Rathaus zeigten sie den der Familie Stern.

Start im Januar 2025

Der erste Stolperstein, der verlegt werden soll, erinnert an Harry Stern. Er lebte zuletzt im Haus Lehmkaute 7. Harry Stern überlebte das Ghetto in Riga, kehrte kurz nach Neustadt zurück, um dann 1947 in die USA auszuwandern. Nachkommen von ihm leben dort noch immer. Zu einer Nachfahrin, zu Diane Siegel, haben die Schülerinnen und Schüler auch Kontakt bekommen. Dort sei die Idee, Stolpersteine zu verlegen, sehr begrüßt worden.

Wie Roman Mehler berichtet, hat die Verlegung von Stolpersteinen durch Künstler Gunter Demnig einen Vorlauf von mindestens zehn Monaten. Mehler und Groll gehen davon aus, dass der erste Stolperstein im Januar oder Februar nächsten Jahres in den Boden kommt. In Neustadt gibt es bisher die Bank der Erinnerung als einen zentralen Ort des Gedenkens.

Eine wertvolle Quelle

Stadtarchivarin Freisberg hat von der Stadt ein zusätzliches Stundenkontingent für das „Projekt Stolpersteine“ bekommen. Sie zitierte aus einer ganz besonderen Neustädter Quelle. Johannes Keppler war in der Nazizeit Leiter der Sparkasse in Neustadt. Er hat tagebuchähnlich Ereignisse der Zeit zwischen 1939 und 1945 festgehalten.

Die Kriegsschrift von ihm liegt im Stadtarchiv, Freisberg erfasst sie zurzeit neu, was aufwendig ist. Keppler beschreibt unter anderem, wie am 20. Mai 1941 Neustädter Juden zusammengetrieben und abtransportiert wurden. Und Keppler erwähnt auch, wie 1942 zwei „Zigeunerfamilien“ deportiert wurden. Die Erinnerungen Kepplers sollen als besonderes Dokument als Buch erscheinen – allerdings mit entsprechenden Kommentaren und Einordnungen versehen.