„Omas gegen rechts“ kritisieren Kinderschuh-Aktion

Bündnis wirft Kritikern von Corona-Beschränkungen Verharmlosung des Holocaust vor
Von Stefan Dietrich
Neustadt. Auf eine Protest-Aktion von unbekannten Kritikern der Corona-Beschränkungen vor dem Neustädter Rathaus hat das Deutschland-Bündnis „Omas gegen rechts“ mit einem Gegenprotest reagiert. Am Montag hängten Aktivistinnen an der Rathaustür einen Forderungskatalog an Politiker und Polizei auf, der sich gegen Aktionen der „Querdenker“-Szene richtet. „Keine Querdenker-Demos mehr!“ lautet die erste Forderung. Zur Begründung heißt es: „Diese Demonstrationen verteilen das Virus in ganz Deutschland und gefährden so die Gesundheit aller.“

Nach Angaben der „Omas gegen rechts“ handelt es sich um eine bundesweite Aktion gegen die „Querdenker“. Fotos der Aktivistinnen dokumentieren, dass sie ihre Plakate unter anderem auch in Schwalmstadt und Kassel angebracht haben. Anlass waren Aktionen von Kritikern der Corona-Maßnahmen, darunter eine große Querdenker-Demonstration in Kassel Ende März, aber auch die Neustädter Aktion am Karfreitag, wie eine Sprecherin der Regionalgruppe der „Omas“ im Gespräch mit der OP sagte.

„Die Kinderschuhe sind absolut daneben“

Vor dem Neustädter Rathaus hatten unbekannte Kritiker der Regelungen zum Schutz vor Corona am Karfreitag unter anderem Kinderschuhe aufgestellt (die OP berichtete). Auf Plakaten forderten sie „keine Maßnahmen gegen Kinder“. „Die Kinderschuhe sind absolut daneben“, sagte die Sprecherin der „Omas gegen rechts“ der OP. „Das soll an den Holocaust erinnern. Die Kinder mussten damals ihre Schuhe ausziehen, bevor sie in die Gaskammer gingen.“ Aus Angst vor Rechtsextremen will die Frau nicht, dass ihr Name in der Zeitung veröffentlicht wird. Nach ihren Angaben gehört sie einer im Ostkreis und in der Schwalm aktiven Regionalgruppe an.

Mit der Einschätzung, dass die Kinderschuh-Aktion einen Bezug zum Holocaust herstellen soll, ist sie nicht allein. Auch jüdische Gemeinden hatten die Aktion als Verharmlosung des Holocaust kritisiert. Nach der Befreiung von Konzentrationslagern waren dort Berge von Kinderschuhen gefunden worden. In der Vergangenheit hatten immer wieder Kritiker von Corona-Beschränkungen sowie Impfgegner mit Nazi-Vergleichen provoziert – unter anderem mit Anspielungen auf den „Judenstern“, den Juden während der Nazi-Diktatur tragen mussten, und auf die 1943 hingerichtete Widerstandskämpferin Sophie Scholl.

„Die Stimmung auf der Straße und in den sozialen Medien wird immer aggressiver. Das, was gerade auf unseren Straßen geschieht, tritt unsere Demokratie mit Füßen“, schreiben die „Omas gegen rechts“, die sich unter anderem gegen Rechtsextremismus und für Flüchtlinge einsetzen. Sie fordern, der Verfassungsschutz müsse die Querdenker-Szene vollständig beobachten, Schulen und Kitas müssten durch „Bannmeilen“ vor politischer Vereinnahmung geschützt werden, das Tragen antisemitischer und rechtsnationaler Symbole müsse strafrechtlich verfolgt werden. Da die Querdenker-Bewegung Schutzmaßnahmen und Auflagen bei Demonstrationen bewusst nicht einhalte, müssten Verbote konsequent durchgesetzt werden.

Groll will Mittelweg in der Corona-Politik

„Wir haben nichts gegen die Versammlungsfreiheit, aber bitte nicht in der Form“, sagte die Aktivistin der OP. So seien bei der Demonstration in Kassel Gegendemonstranten von Querdenkern angespuckt worden. In den vergangenen Monaten waren Demonstrations-Verbote allerdings immer wieder von Gerichten gekippt worden, weil Demonstrieren ein Grundrecht ist. „Wir leben in herausfordernden Zeiten, und diese Situation führt dazu, dass sich viele mit ihren Meinungen artikulieren“, sagte Neustadts Bürgermeister Thomas Groll (CDU) mit Blick auf die beiden Protestaktionen vor dem Rathaus. Das Grundgesetz gebe jedem in Deutschland das Recht, seine Meinung zu sagen – also Gegnern wie Befürwortern der Corona-Maßnahmen. Groll plädierte in der Corona-Politik erneut für einen „gesunden Mittelweg, damit wir möglichst viele mitnehmen.“ Er findet einerseits den Infektionsschutz notwendig, will aber andererseits die Nöte von Betroffenen – etwa Familien – ernst nehmen. Das hatte er bereits nach der Aktion am Karfreitag deutlich gemacht.

Zur Kritik an der Kinderschuh-Aktion sagte der Bürgermeister, ihm sei nicht bekannt, ob die bundesweiten Initiatoren sich damit auf den Holocaust beziehen wollten. „Aber ich glaube nicht, dass diejenigen, die das in Neustadt gemacht haben, diese Assoziation hatten“, fügte Groll hinzu.