Opa statt Ortsvorsteher

Der Speckswinkler Karl Stehl macht nach 30 Jahren Schluss mit Kommunalpolitik
Von Florian Lerchbacher
Speckswinkel. „Wenn die Alten nicht gehen, dann kommen die Jungen ja gar nicht an die Reihe“, sagt Karl Stehl, der sich nicht mehr als Ortsvorsteher von Speckswinkel oder als Stadtverordneter der CDU zur Wahl stellen lässt. „Ich habe immer gesagt, dass ich mit 70 Schluss mache und die Jüngeren übernehmen müssen“, ergänzt er – der allerdings noch ein paar Monate Zeit hat, bis er seinen runden Geburtstag feiern kann. Aber für ihn ist klar: Die Jüngeren müssen ran, damit er selbst Zeit für andere „Jüngere“ hat: „Es wird Zeit, dass sich der Opa mehr um die Enkel kümmern kann“, erklärt der Speckswinkler, der mit seiner Frau Ingrid einst zwei Kinder in die Welt setzte, die ihnen inzwischen vier Enkel geschenkt haben.

Insbesondere in den vergangenen 15 Jahren habe er aufgrund seines ehrenamtlichen Engagements immer Zeitdruck gehabt und oft seien dem privaten Vergnügen Termine dazwischengekommen. „So richtig planen, konnte man nicht“, sagt Stehl, der unter anderem fünf Jahre lang Stadtverordnetenvorsteher, zehn Jahre Vorsitzender des Haupt- und Finanzausschusses und fünf Jahre Vorsitzender des Bauausschusses war, inzwischen drei Legislaturperioden als Ortsvorsteher auf dem Buckel hat und zudem noch zwölf Jahre lang das Amt des Vorsitzenden im Verkehrs- und Verschönerungsverein bekleidete. Viele Jahre ging der einstige Berufssoldat also voran – aber nicht als General mit Befehlston, sondern als einer, der zwar mit Durchsetzungsvermögen sich einsetzte, dabei jedoch auch große Kompromissbereitschaft an den Tag legte: „Das ist doch logisch: Wenn ich nicht das Ganze haben kann, doch wenigstens ein Stück – damit bin ich immer gut gefahren. Sowohl für mich als auch für das Dorf.“

Seit 15 Jahren Ortsvorsteher

1972 war Stehl nach Speckswinkel gekommen. In den 80er Jahren gab er ein erstes Gastspiel im Ortsbeirat, hatte aber den Eindruck, als „Jungspund“ nicht ernstgenommen zu werden, und hörte wieder auf. Danach sei er jedoch immer wieder mit dem Hinweis angesprochen worden: „Du kannst doch reden!“ Und so trat er der CDU bei – weil das die Partei sei, die am ehesten seiner Einstellung und seinen Werten entspricht – und wurde 1990 in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. In den 1990er Jahren war er Vorsitzender des Planungsbeirats der Dorferneuerung, während der die Speckswinkler ein „zähes Ringen“ um den Umbau des alten Raiffeisengebäudes zum Gemeinschaftshaus „Zollhof“ gewannen.

Vor 15 Jahren wählten die Speckswinkler ihn als frisch gebackenen Ruheständler mit „kleiner Mehrheit“ dann zum Ortsvorsteher. In der Folge gab es dann statt Listen von CDU und SPD eine gemeinsame Liste mit ihm an der Spitze. Die große Menge an Stimmen, die er bei seinen zwei Wiederwahlen erhielt, habe er als große Bestätigung der guten Arbeit gewertet: „Ich merkte, die Menschen stehen hinter uns. Das hat mich sehr gefreut.“ Noch mehr jedoch freute ihn der große Einsatzwille der Bürger während des Wettbewerbes „Unser Dorf hat Zukunft“.

In seine Zeit als Ortsvorsteher fällt natürlich auch der Bau zahlreicher Windräder. „Das befürworte ich weiterhin. Ich halte Windkraftanlagen für notwendig“, sagt Stehl und bezeichnet auch den Dorfstammtisch als schöne Errungenschaft seiner Amtszeit – denn dort könnten Bürger frei von der Leber weg sprechen. Im Ortsbeirat sei das nicht möglich, weil Gäste dort kein Rederecht besitzen: „Auch wenn wir das dann doch immer möglich machten, dass jeder mal etwas sagen kann: Wir haben dann eben die Sitzung unterbrochen.“ Nah am Menschen zu sein, ist eben auch ein Credo Stehls – der es durchaus verstehen kann, dass Bürger einen Ansprechpartner vor Ort benötigen und ein Ortsvorsteher auch mal mitten in der Nacht gerufen wird, um einer betagten Mitbürgerin zu helfen, den aufgrund leerer Batterien angegangenen Feuermelder zum Schweigen zu bringen.

Ehefrau war große Hilfe

Nur eins bedauert der leidenschaftliche Sportler, der zwischenzeitlich auch sechs Jahre als Übungsleiter an der Stadtallendorfer Südschule half: Die Belebung des Ortskerns und der Leerstände hätte er gerne erreicht. Immerhin seien jetzt zwei Grundstücke verkauft worden und es sei Besserung in Sicht, betont er und freut sich, dass es seit einigen Jahren in Speckswinkel ein Neubaugebiet gibt und wieder Kindergeschrei im Dorf zu hören ist. Wobei „Opa Karl“ ja bald ohnehin mehr Kindergeschrei zu hören bekommt – zusammen mit seiner Frau Ingrid, der er ebenso wie den Mitarbeitern der Verwaltung großes Lob ausspricht, da sie ihn in all den Jahren seines Engagements stets tatkräftig unterstützt habe: „Manchmal musste sie mir auch Mut machen oder mich wieder aufbauen – dafür bin ich ihr sehr dankbar.“