Wo Schlamm und Wasser drohen

Neustadt erhielt hessenweit erste Fließpfadkarte / Wichtige Grundlage für Planungen
Von Michael Rinde

Neustadt. Land unter in Neustadt. Das haben die Kernstadt und teilweise auch die Stadtteile in mehr als zehn Jahren mehrfach unterschiedlich schlimm erlebt. Zuletzt trafen die Folgen eines Unwetters mit Starkregen im Juni 2020 die Stadt. Ein Grund ist die besondere Lage Neustadts, das umrahmt ist von Hügeln und Feldern.

Die Neustädter Verantwortlichen hatten bereits vor Jahren ein erstes Gutachten eingeholt, das Millioneninvestitionen als Handlungsmöglichkeit vorschlug. Gestern morgen bekam Neustadts Bürgermeister ein neues, etwas anderes Werkzeug zur Vorbeugung in die Hand, eine sogenannte Fließpfadkarte. Erstellt hat die Karte das Hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG). Auf jener Karte sind die Fließwege des Wassers bei einem Starkregen genau dargestellt. Äcker und Häuser sind farblich markiert, ein rot eingefärbtes Haus könnte beispielsweise von einem solchen Wasserstrom betroffen sein.

Die Neustädter kennen indessen die Realität bereits sehr gut. Dennoch ist Bürgermeister Thomas Groll froh über die neue Fließpfadkarte. Denn die Stadt hat ein Ingenieurbüro beauftragt, das Schritt für Schritt Pläne für einen besseren Überflutungsschutz erstellen wird. Derzeit bereitet es zunächst einen Förderantrag für die eigentlichen Planungen vor. Die sollen dann ab Beginn der Flurbereinigung schnell umgesetzt werden. Die Flurbereinigung im Zuge des A-49-Neubaues erfolgt wohl ab 2025. „Dann haben wir auch Zugriff auf die benötigten Flächen, etwa für Mulden; wenn wir dann vorbereitet sind, sparen wir unter dem Strich noch Jahre“, sagt Groll.

Neustadt ist die erste Stadt in Hessen, die eine solche Karte bekommt, 30 weitere Kommunen haben sich bereits dafür angemeldet. Die Kommunen zahlen eine geringe Schutzgebühr dafür.

Jene Fließpfadkarte beruht auf vorhandenen Daten, wie Dr. Heike Hübener vom HLNUG bei der Vorstellung des Ergebnisses erläutert. Allein aufgrund der Karte konnte Hübener im Vorfeld klar ausmachen, dass Bewohner am Heidental besonderen Gefährdungen bei Unwettern ausgesetzt sind. Das hatte sich zuletzt im Jahr 2020 schon gezeigt. Hübener verwies aber auch auf die Grenzen jener Karte. Sie sei keine Simulation, die könne nur ein Fachbüro mit entsprechendem Aufwand erstellen.

Die Stadt Neustadt ist derzeit keinesfalls untätig. Sie arbeitet beispielsweise mit dem Wasser- und Bodenverband Marburger Land und dem Amt für Bodenmanagement zusammen, die wiederum Landwirte in der Umgebung gezielt beraten, vor allem, was den Erosionsschutz angeht. Das bringt auch den Landwirten Vorteile: „Denn sie verlieren wertvollen Boden bei jedem Unwetter, der unwiederbringlich ist“, sagt Susanne Fischer vom Wasser- und Bodenverband. Ein Landwirt hat erst kürzlich in seinem Feld am Heidental einen Erosionsschutzstreifen eingezogen, um Wasserablauf zumindest zu begrenzen. Außerdem hat die Stadt im Heidental etwa Abläufe verändert. Die Stadt Neustadt zahlt Landwirten im Rahmen des Möglichen auch kleine Förderbeträge, wenn sie ihre Felder so bestellen, dass Wasser und Schlamm gebremst werden.

Groll und Hübener sind sich sicher, dass jene neue Karte der Stadt weiterhelfen wird bei ihrem Kampf gegen Unwetterfolgen. „Sie wird Gold wert sein“, ist sich Groll sicher. Neustadt setze beim Schutz vor den Starkregenfolgen auf ökologisch vernünftige und auch finanzierbare Vorhaben. Konkrete Pläne sollen rechtzeitig vor Beginn der eigentlichen Flurbereinigung vorliegen.