In der Erstaufnahmeeinrichtung in Neustadt entstehen täglich 50 Stoff-Barrieren
Von Gianfranco Fain
Neustadt. Für die heute beginnende Pflicht, Mund und Nase in der Öffentlichkeit zu bedecken, um Mitbürger vor einer möglichen Infektion mit dem Coronavirus zu schützen, sind die Bewohner am Standort Neustadt der Erstaufnahmeeinrichtung Hessen gut vorbereitet. Dort nähen seit Ostern sieben Frauen Nase-Mund-Masken. Nach verhaltenem Beginn und der Spende einer weiteren Nähmaschine erreicht die Produktion mittlerweile 50 Masken pro Tag.
Verhalten nahm die Arbeit ihren Lauf, als eine gelernte Schneiderin die Idee zum Herstellen der Masken hatte. Die Afghanin Farida fand unter den 464 Bewohnern jedoch schnell sechs Mitstreiterinnen, Fadile, Konul, Larisa, Najla, Sofia und Zeynep, die ebenfalls „etwas Sinnvolles“ in ihrer Zeit bewirken wollten. Die 31-Jährige, die in ihrer Heimat Kleider auf Maß anfertigte, besorgte aus dem Internet ein Schnittmuster und leitete ihre Mitstreiterinnen an. Da zu Beginn nur zwei Nähmaschinen zur Verfügung standen, organisierten sich die Neu-Schneiderinnen für ihre Fünf-Stunden-Schicht in einer Produktionsstraße: Eine schneidet den Stoff zurecht, eine näht, die nächste bügelt.
Verständigungsprobleme gibt es dabei unter den Frauen, die aus Afghanistan, der Türkei, Syrien, Russland und Aserbaidschan stammen, nicht, denn die meisten sind mehrsprachig aufgewachsen. Sie verbindet das Näh-Hobby und die Gewissheit, einen Beitrag zum Schutz gegen die Verbreitung des Virus zu leisten. Auch wenn diese Behelfsmasken medizinischen Ansprüchen nicht genügen, so schützen sie doch im Alltag vor einer Übertragung des Virus – nicht nur unter den Bewohnern in der Erstaufnahme, an die die Masken verteilt werden, sondern auch bei deren Besorgungen außerhalb des Geländes, sagt Ina Velte vom Regierungspräsidium (RP) Gießen. Während das Tragen der Masken auf dem Gelände bisher freiwillig erfolgt, gibt es für die Flüchtlinge auch Informationen über die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln und Geschäften. Piktogramme und mehrsprachige Aushänge weisen auf die Sicherheitsbestimmungen und Kontaktregelungen innerhalb der Erstaufnahmeeinrichtung hin, offenbar mit Erfolg, denn bislang gab es in Neustadt noch keinen bestätigten Corona-Fall.
Seit dem Jahr 2015 gibt es die Handarbeitsstube in der Neustädter Flüchtlingsunterkunft. Dort wurde bisher schon betreut durch engagierte Ehrenamtliche genäht, gehäkelt und gestopft. Doch mit der Aufnahme der Masken-Näherei wurde die Stube schnell zu klein und ist deshalb in einen Schulungsraum umgezogen. Da ehrenamtliche Helfer derzeit aufgrund der Kontaktbeschränkungen keinen Zutritt in die Einrichtung haben, übernahm eine Mitarbeiterin des RP das Betreuen der Näherinnen, die an den Wochenenden von Mitarbeitern des Sozialdienstleisters EHC (European Homecare) abgelöst werden, erklärt Ina Velte.
Da ständig Masken für die Waschintervalle oder auch für Neuankömmlinge sowie Flüchtlinge, die die Erstaufnahme verlassen, benötigt werden, haben die sieben engagierten Näherinnen auch in Zukunft gut zu tun. Freuen würden sie sich über eine weitere ausgediente Nähmaschine, aber auch über Stoff, Gummibänder oder ein Bügelbrett. Solche Spenden können laut Velte an der Pforte abgegeben werden.