Stadt sucht Experten-Rat wegen Unwetterschäden

Förderkulisse für andere Bewirtschaftung der Felder angedacht
Zum fünften Mal in den vergangenen zwei Jahren traf am Sonntag ein Unwetter die Stadt Neustadt und sorgte für eine massive Überschwemmung in der Innenstadt. Die OP sprach mit dem Bürgermeister über das Thema.
von Florian Lerchbacher
OP: Die Bewohner der Marktstraße sind inzwischen gewappnet, die Bewohner der Mauerstraße sind die Leidtragenden. Worin liegen die Ursachen für die Überschwemmungen?
Thomas Groll: Ursache sind die außergewöhnlichen Starkregenereignisse der letzten beiden Jahre, die in dieser Form und Häufung in der Vergangenheit so nicht vorgekommen sind. Das Wasser sammelt sich an den tiefsten Punkten der Stadt und führt dort zu den bekannten Schadensbildern.
Wasser und Schlamm strömen aus dem Bereich der Momberger Straße, der Speckswinkler Straße und des Heidentals in die Innenstadt. Im Juni 2011 wurden große Schlammmassen von den in diesen Bereichen mit Mais bestellten Flächen gespült, weil Mais kein Tiefwurzler ist. Jetzt wurden gerade die Felder abgeerntet und teilweise schon neu bestellt. In beiden Fällen floss der Niederschlag rasch und ungebremst in Richtung Innenstadt. Mit dem Schlamm floss diesmal Stroh in die Stadt, das sich auf die Senkkästen legte und sie verschloss, so dass es zu Verstopfungen kam. Hinzu kommt, dass es in den genannten Bereichen der Grünlandanteil sehr gering ist. Dies ist beispielsweise derzeit im Bereich von Hain und Dick anders. Das Abflussverhalten auf Grünflächen ist unterschiedlich zu dem auf Ackerflächen: Dort wird das Wasser eher „gebremst“. Zudem sind die Schläge größer geworden. Der ein oder andere Graben, den es früher zwischen den Feldern gab, ist wegen der größeren Flächen nicht mehr vorhanden und der Anbau der Feldfrüchte hat sich gewandelt. Eines sei aber deutlich gesagt: Den Landwirten darf man keine Vorwürfe machen. Sie wirtschaften im Rahmen der guten fachlichen Praxis.
Die Landwirtschaft ist heute eine ganz andere als vor 15 oder 30 Jahren und muss sich den Gegebenheiten des
Marktes anpassen. Die Kommune kommt im Übrigen ihren Unterhaltsverpflichtungen für Gräben und ähnlichem im Rahmen des Möglichen nach.
OP: Was unternimmt die Stadt wegen der Überschwemmungen?
Thomas Groll: Wir standen in den letzten Wochen im intensiven Kontakt zum Regierungspräsidium in Gießen und besprachen die Thematik mit der zuständigen Fachabteilung. Schon vor dem Unwetterereignis vom Sonntag hatte ich einen Termin mit dem RP-Präsidenten Dr. Wittek für den 19. Oktober vereinbart. An diesem Tag wollen wir einige Punkte verbindlich regeln: Die Zusammenarbeit mit dem Wasser- und Bodenverband Marburger Land und eine Studie der Uni Gießen. Gemeinsam mit den Landwirten wollen wir – auch im gerade begonnen SILEK-Prozess – über andere Bewirtschaftungsformen in den betroffenen Gebieten nachdenken. Hier muss intensiv nach Wegen gesucht werden, eine Förderkulisse zu schaffen.
Am Dienstag trafen wir uns mit einem Fachbüro. Wir wollen erarbeiten, ob und gegebenenfalls welche Möglichkeiten es gibt, die Wassermassen im Außenbereich abzufangen und zu kanalisieren. D4s Problem muss genau analysiert werden. Ich habe Verständnis, dass bei den betroffenen Anliegern die Nerven blank liegen und sie rasche Lösungen fordern. Schnellschüsse sind aber nicht zielführend. Wir brauchen tragfähige Konzepte und Kostenschätzungen.
OP: Die Bürger fordern mehr Gullys und größere Kanäle für die Marktstraße. Ist das eine Lösung?
Thomas Groll: Es ist unklar, ob die Kanäle am Sonntag wirklich voll waren oder ob es nicht eher so war, wie wir es gegen 16 Uhr in der Marktstraße wahrgenommen haben: Strohreste, die von den Feldern abgeschwemmt wurden, verstopften die Senkkästen, sodass die Abflüsse nicht funktionieren konnten. Eine größere Gullyzahl hätte hier also nichts gebracht. Der Zweckverband Mittelhessische Abwasserwerke teilte uns auf Nachfrage mit, dass die theoretisch mögliche Abflussmenge im Bereich der Marktstraße gegenüber dem Bestand vor der Straßensanierung um 110 Prozent vergrößert wurde. Die Leistungsfähigkeit ist also mehr als doppelt so hoch wie früher.
OP: Wie kann es sein, dass eine Stadt fünf Mal das gleiche Schicksal erleidet?
Thomas Groll: Die Starkregenereignisse scheinen leider einen besonderen Schwerpunkt in Neustadt zu haben. Hierfür kann weder eine Person noch eine technische Gegebenheit verantwortlich gemacht werden. Durch die in Antwort eins dargestellten Gegebenheiten und die Tallage gibt es sicherlich noch eine Verstärkung, Eine rationale Erklärung scheint nicht möglichbeim Juni-Unwetter gab es beispielsweise
nach übereinstimmenden Berichten stark unterschiedliche Niederschlagsmengen in verschieden Bereichen Neustadts. Das Hessische Landesamt für Umwelt und Geologie, zu dem ich damals Kontakt aufnahm, stellte seinerzeit ebenfalls fest, „dass sommerliche Gewitterregen oft hur auf eng begrenztem Gebiet fallen, das nur wenige Quadratkilometer betragen kann“.