Vornehmlich Mitarbeiter sind infiziert

Corona-Tests in Erstaufnahmeeinrichtung: 24 Mitarbeiter und 4 Flüchtlinge erkrankt / Mitarbeiter schleppte Virus ein
Von Florian Lerchbacher
Neustadt. Drastischer Anstieg der Corona-Zahlen in der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Neustadt – allerdings sind weniger die Bewohner betroffen als vielmehr die Mitarbeiter. Wie das Regierungspräsidium in Gießen und das Gesundheitsamt des Landkreises Marburg-Biedenkopf gestern mitteilten, haben die flächendeckenden Corona-Tests gezeigt, dass 24 Mitarbeiter externer Dienstleister und 4 Bewohner unter Covid-19 leiden. 22 Mitarbeiter gehören dem Sicherheitsdienst an, 2 zum medizinischen Personal. Von diesen 28 positiv getesteten Personen fallen 12 in die Zuständigkeit des Gesundheitsamtes Marburg-Biedenkopf. Die anderen Fälle werden von den Gesundheitsämtern anderer Kreise betreut.
„Die betroffenen Personen, die in der Einrichtung wohnen, zeigen lediglich leichte Symptome“, teilt das Gesundheitsamt mit. Zusammen mit ihren Kontaktpersonen befinden sie sich in Isolation in einem gesonderten Gebäudekomplex der Erstaufnahmeeinrichtung. Sie dürfen den Standort bis zur Genesung nicht verlassen (die Abstrich-Ergebnisse der Kontaktpersonen erwiesen sich zwar als negativ, aber sie bleiben aus Sicherheitsgründen in Quarantäne). Die positiv getesteten Mitarbeitenden der Dienstleister befinden sich auf Anordnung des Gesundheitsamtes in häuslicher Isolierung.
An den fünf Standorten der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Hessen leben 2 801 Menschen. Seit März gab es – inklusive der vier Fälle aus Neustadt – insgesamt 13 Corona-Fälle. Die Bewohner seien umgehend isoliert worden, teilt das RP mit. Am Standort in Neustadt leben momentan 324 Menschen. „Alle am Standort beschäftigten Dienstleister erhalten regelmäßig Infos zu Abstandsregelungen und Hygienemaßnahmen, die innerhalb der Einrichtung gelten“, erläutert Manfred Becker, der für die Erstaufnahmeeinrichtung Hessen verantwortliche Abteilungsleiter. Auf die Risiken von Corona werde in allen Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften intensiv hingewiesen. „Aufklärung und deren Umsetzung sind Themen, die seit März unseren Alltag prägen“, betont Becker. Auch die Bewohner werden anhand mehrsprachiger Aushänge und Piktogramme auf einzuhaltende Hygienemaßnahmen aufmerksam gemacht. Zudem erhalten sie immer aktuelle Infos zur Pandemie und dem Schutz vor Corona (ebenfalls in verschiedenen Sprachen).
Für Bürgermeister Thomas Groll ist wichtig, dass weiterhin Transparenz gelebt wird und das Regierungspräsidium auf aktive Öffentlichkeitsarbeit setzt: „Das zeigt, dass nichts unter den Teppich gekehrt wird – und das beugt auch Gerüchten vor.“
„Es darf nichts
schöngeredet werden“
Die hohe Anzahl an Infizierten gebe Anlass zur Sorge: „An dieser Stelle darf nichts schöngeredet werden. Ich habe das RP aufgefordert, die Angelegenheit rasch aufzuarbeiten und gegebenenfalls Konsequenzen zu ziehen – und begrüße es sehr, dass meine Sichtweise in Gießen geteilt wird.“ Dazu sagt Becker: „Für die Erstaufnahmeeinrichtung in Neustadt ist es nun entscheidend, dafür zu sorgen, dass alles unternommen wird, um eine solche Situation für die Zukunft zu verhindern. Es gilt jetzt die Gesamtlage genauestens zu prüfen sowie die Infektionsketten zu analysieren. Die Erkenntnisse werden dann in unser Sicherheitskonzept einfließen, das sich bislang in der Corona-Krise bewährt hat.“
Groll fordert, dass „alles getan wird, um die Zahlen zu minimieren“. Entsprechend sei es noch wichtiger als sonst, dass sich alle – sowohl Mitarbeiter der Einrichtung als auch Flüchtlinge – noch strenger an die Hygieneregeln halten. Die Betroffenen seien in einem gesonderten Block der ehemaligen Kaserne in Quarantäne und liefen nicht durch die Stadt, wie einige Nutzer sozialer Medien befürchten: „Das geht seinen normalen Gang – wie überall, wenn Menschen von Corona betroffen sind. Ich habe da vollstes Vertrauen in die Vorgehensstrategie der Behörden. Es muss klar sein, dass sensibel mit dem Sachverhalt umgegangen wird und Neustadt nicht zum Corona-Hotspot wird.“ Die Forderung von Bürgern, Bewohnern der EAE insgesamt nun den Ausgang zu verbieten, klinge vielleicht gut, sei aber unrealistisch und nicht zielführend.
Unverständnis zeigt Groll indes dafür, dass teilweise dieselben Menschen, die noch vor Wochen die strengen Corona-Sicherheitsvorkehrungen kritisierten, nun in sozialen Medien die erkrankten Flüchtlinge beziehungsweise Flüchtlinge generell ins Visier nähmen. Es sei grotesk, dass man fast schon froh sein müsse, dass Mitarbeiter Corona in die Einrichtungen brachten (allem Anschein nach eine Service-Mitarbeiterin aus der Krankenstation): „Sonst hätte es bestimmt wieder geheißen: War ja klar, die Flüchtlinge …“