Michael Rudewig investiert pro Windkraftanlage bis zu 100 000 Euro in Naturschutzgutachten
Von Katja Peters
Mengsberg. Michael Rudewig aus Mengsberg ist Windkraft-Pionier in Nordhessen. Er hat deutschlandweit über 50 Windkraftanlagen projektiert, von denen er einen Großteil selbst betreibt. Die meisten davon stehen in Hessen.
„Früher reichte ein Bauantrag und der wurde innerhalb eines halben Jahres genehmigt. Für die Anlagen in der Gemarkung Neustadt plane ich jetzt schon fast sieben Jahre.“ Das sagt Michael Rudewig, einer der Windkraft-Pioniere in Nordhessen. Mit „früher“ meint er „vor 25 Jahren“. So lange macht er schon in Windenergie, projektierte in dieser Zeit über 50 Anlagen deutschlandweit, die meisten davon stehen in Hessen.
„Heute geht es fast nur noch um Naturschutz. Immer wieder werden neue Gutachten gefordert. Mittlerweile investiere ich bis zu 100 000 Euro pro Anlage in Naturschutzgutachten“, berichtet Michael Rudewig. Und wenn dann doch gebaut werden darf, dann wird die Windenergienutzung durch sogenannte „Abschaltrestriktionen wegen des Artenschutzes“ eingeschränkt. Beispielsweise dürfen sich die Rotorblätter zum Fledermausschutz in den Monaten April bis Oktober nach Sonnenuntergang bei Windgeschwindigkeiten unter sechs Metern in der Sekunde nicht mehr drehen, auch nicht, wenn es in dieser Zeit regnet. Letzteres ist aber von Behörde zu Behörde unterschiedlich. „So kann der Windpark in Mengsberg in regnerischen Sommernächten Strom erzeugen, in Sebbeterode aber nicht, weil dort ein anderes Regierungspräsidium zuständig ist“, erklärt Michael Rudewig. Dabei ist allen bekannt, dass Fledermäuse bei Regen nicht oberhalb der Baumkronen fliegen.
Ebenfalls müssen die Anlagen beim Kranichzug abgeschaltet werden. Die Zugrouten und Massenzugtage werden genau analysiert: „Gutachter entscheiden das dann kurzfristig“. Und auch wenn die Landwirte tagsüber auf den Feldern unter Windkraftanlagen ernten, dürfen sich keine Rotorblätter tagsüber drehen, „bis zu zwei Tage danach nicht. Wegen des Rotmilanschutzes“, erklärt der 53-Jährige.
Sein Sarkasmus sei in den vergangenen Jahren gewachsen. Er diskutiert auch nicht mehr mit Windkraft-Gegnern. Das sei sinnlos. Dennoch wünscht er sich mehr Augenmaß bei den Entscheidern. „Mittlerweile wird vieles konstruiert“, hat er festgestellt.
Speichermöglichkeit fehlt
„Wir sind doch keine Artenschutz-Gegner. Im Gegenteil. Die erneuerbaren Energien wurden doch auch aus Klimaschutz- und somit aus Naturschutzgründen entwickelt. Das Waldsterben, auf Grund der Trockenheit der letzten beiden Jahre als Zeichen der drohenden Klimakatastrophe, dürfte niemandem entgangen sein. Daher ist die Energiewende absolut notwendig, und zwar weltweit.“
Dabei ist auch für ihn die Windkraft nicht das Allheilmittel bei den erneuerbaren Energien. Allerdings kann sie einen großen Teil dazu beitragen, von fossilen Brennstoffen wegzukommen. Die Effizienz sei enorm gewachsen. Während in den 1990er-Jahren noch zehn Anlagen für drei Megawatt Leistung benötigt wurden, schafft das heute problemlos eine einzige, sogar noch mehr. Derzeit werden Anlagen mit mehr als fünf Megawatt Leistung errichtet.
Offshore, also auf dem Meer, sind es sogar Anlagen mit acht bis zehn Megawatt. „Das ist die Leistung, die die Anlage bei stürmischem Wind laufend produzieren kann“, erklärt Michael Rudewig. Jede seiner Anlagen in Mengsberg liefert jährlich rund sieben Millionen Kilowattstunden sauberen Strom. „Ich kann also mit vier Anlagen so viel Strom produzieren, wie Neustadt und seine Ortsteile im Jahr brauchen“, hat er ausgerechnet. Einziger Haken: Es gibt derzeit keine Speichermöglichkeit. „Und die Entwicklung dafür wird auch kaum gefördert. Es ist schon viel Zeit verlorengegangen deswegen.“ Es gebe zwar Pilotprojekte, aber die Speicher sind nicht groß genug. Nach einer Stunde Volllast sind sie bereits voll. Dennoch werden schon heute über 40 Prozent des Stromes in Deutschland aus erneuerbaren Energien bereitgestellt.
Dass es nicht mehr ist, liegt auch an den Kohlekraftwerken, weil diese in windstarken Zeiten nicht komplett abgeschaltet werden. Permanent wird dort Strom produziert. Weht viel Wind, dann gibt es viel Strom und der Strompreis an der Börse wandert ins Negative. „Nun bieten die Kohle- und Kernkraftwerke den Abnehmern sogar Geld, dass diese ihren Strom kaufen und nicht den ökologisch produzierten. Für uns als Produzenten heißt das, dass wir unsere Anlagen in Zeiten negativer Strompreise abstellen müssen“, erklärt Michael Rudewig. Während der Pandemie im Frühjahr gab es generell weniger Industrieabnehmer, so dass es öfter zu einer Überproduktion kam. Das wiederum bedeutet, dass es in den ersten sechs Monaten dieses Jahres so viele Stunden mit negativen Strompreisen gab wie sonst in einem ganzen Jahr. „Teile dieses Systems sind krank. Das ist ein Dilemma und volkswirtschaftlich sehr fraglich“, resümiert der Windkraft-Pionier aus Nordhessen.
Der Erfolg bringt Probleme
Neben den Speichermöglichkeiten fehlen auch die Leitungstrassen, um Strom von den Offshore-Windparks in der Nord- und Ostsee nach Süddeutschland transportieren zu können. Dabei sollte jedes Bundesland so viel Ökostrom wie möglich selbst dezentral produzieren.
Aufgeben kommt für Michael Rudewig dennoch nicht in Frage. „Ich bin immer noch davon überzeugt. Aber die Rahmenbedingungen machen mürbe. Viele Projektierer geben auf.“ Und auch die Entwicklung des Strompreises sieht er kritisch. „Der Erfolg hat zu Problemen geführt. Die Strompreise an der Börse sind zwar gefallen, unter anderem auch durch die Solarstromeinspeisung. Aber das kommt beim Endverbraucher nicht an.“ Denn die Umlage aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ist an diesen Börsenpreis gekoppelt und somit steigt die Umlage bei fallendem Strompreis. „Auch die Befreiung eines Großteils der Industrie hat zur Steigerung der EEG-Umlage beigetragen“, ist er sich sicher. Der Endverbraucher wird sozusagen noch dafür bestraft, dass die erneuerbaren Energien auf dem Vormarsch sind.