Eine Aussage löst Unmutsbekundungen aus

Eberhard Aurich sprach über den Mauerfall und seine Karriere in der Freien Deutschen Jugend

Die jüngste Veranstaltung der zeitgeschichtlichen Reihe der Stadt Neustadt drehte sich um den Mauerfall am 9. November 1989. Zu Gast war Eberhard Aurich – ein prominenter Zeitzeuge aus der ehemaligen DDR.
von Klaus Böttcher
Neustadt. „Bau auf, bau auf, freie deutsche Jugend bau auf, sangen Karl-Joseph Lem- mer und Michael Dippel das Lied der Freien Deutsche Jugend (FDJ). Zusammen mit Wil- fred Sohn bilden die beiden das Trio Semplice, das mit zum Thema passenden Liedern die zeitgeschichtliche Veranstaltungsreihe musikalisch umrahmt.
Die Freie Deutsche Jugend war mit mehr als zwei Millionen Mitgliedern die große Jugendbewegung in der DDR – mit der Eberhard Aurich eng verbunden ist: Er war ab 1969 hauptamtlicher Mitarbeiter der FDJ und ab 1983 Nachfolger von Egon Krenz als erster Sekretär des Zentralrates der FDJ.
Neustadts Bürgermeister Thomas Groll führte mit Eberhard Aurich ein hochinteressantes Gespräch, in dem die Ereignisse des Jahres 1989 einen Schwerpunkt bildeten. Zunächst zeigte Groll einen aufklärenden Film, in dem der Gast auch eine Rolle spielte: Als Mitglied des Zentralkomitees der SED, der Volkskammer und des Staatsrates der DDR stand Aurich am 6. Oktober 1989 zusammen mit Erich Honecker und Michail Gorbatschow am Platz der Republik und nahm den Fackelzug von 100 000 FDJ-Mitgliedern zum 40. Jahrestag der DDR ab. Ebenso stand er beim großen Pfingsttreffen an der Seite Honeckers und war der Hauptredner.
Der inzwischen 73-Jährige hat kürzlich ein Buch mit dem Titel „Zusammenbruch. Erinnerungen, Dokumente, Einsichten“ geschrieben. Darin setzt er sich offen und selbstkritisch mit der DDR auseinander. Im Zwiegespräch mit Groll berichtete er von seiner Kindhejt, seinem Lehramts-Studium und seiner Karriere in der FDJ.
Auf Grolls Frage nach den Veränderungen in den 70er-Jahren erklärte Aurich, das Volk hätte Wohnungen gewollt, statt mehr Wirtschaft. Erich Honecker, der Walter Ulbrich abgelöst hatte, kam dem nach. „Anfang der 70er-Jahre herrschte eine Aufbruchstimmung, die war aber 1976 schon wieder zu Ende“, gab Aurich offen zu.

Aurich meint, die DDR sei kein Unrechtsstaat gewesen
Groll fragte den Gast, wie er über diejenigen gedacht habe, die nicht in die FDJ eingetreten waren. Im Alter von 14 Jahren sei fast jeder dabei gewesen. „Nach der Wende habe ich Leute kennengelernt, denen Schlimmes passiert ist, weil sie nicht mitgemacht haben“, berichtete Aurich.
Haben sie im Oktober 1989 beim großen Fackelzug gedacht es sei der letzte, fragte der Bürgermeister. „Ich habe gedacht, dass es die DDR noch lange geben werde und wir die Probleme lösen werden“, antwortete sein Gast. Den Mauerfall am 9. November bezeichnete Aurich als eine unmögliche Situation für alle Beteiligten. „Die Mitglieder des Zentralkomitees wurden am 9. November auch verarscht“, betonte er und meinte, nach der neuen Verordnung zum Reisegesetz vom 6. November hätte keiner ausreisen dürfen.
Groll stellte dem Gast abschließend Fragen, die dieser mit Ja oder Nein beantworten sollte. Auf die Frage, ob er die DDR vermisse, antwortete Aurich ebenso mit Nein wie auf die Frage, ob die DDR ein Unrechtsstaat gewesen sei. Das rief bei vielen der rund 80 Besuchern Unmut hervor. Ein Besucher kritisierte das laut, ein anderer meinte später im Gespräch, damit habe er die schöne Geschichtsstunde versaut. Aurichs Meinung: Die DDR sei ein Rechtsstaat gewesen, in dem es sehr wohl auch Unrecht gegeben habe. Die Einheit sei auch nach 30 Jahren noch nicht ganz gelungen. „Die Menschen in der ehemaligen DDR empfinden, dass sie nicht ernst genommen werden mit ihrer Geschichte“, sagte der Gast aus Berlin. Neustadts Bürgermeister Groll betonte im Nachhinein gegenüber der OP, dass die DDR für ihn sehr wohl ein Unrechtsstaat gewesen sei, auch wenn sie eine eigene Gerichtsbarkeit gehabt habe. „Menschen konnten sich nicht frei entfalten, hatten keine Reisefreiheit, wurden mit Gewalt am Verlassen des Landes gehindert“, so Groll.