Kinder leiden – aber auch Eltern und Personal

Interdisziplinäre Runde setzt sich mit den Auswirkungen der Pandemie auseinander
Von Florian Lerchbacher
Neustadt. „Man darf die Null- bis Sechsjährigen, die sich selbst noch nicht oder noch nicht so gut ausdrücken können, nicht vergessen. Diese Gruppe findet entsprechend kein oder kaum Gehör – aber die Auswirkungen der Pandemie und der Lockdowns und Einschränkungen sind riesig.“

Vor dem Hintergrund dieser Aussage hat Tagesmutter Roswitha Trümpert unter Federführung des Bürgervereins eine „interdisziplinäre Runde“ ins Leben gerufen, deren Teilnehmende die Neustädterin bestätigten: Gerade die Null- bis Dreijährigen seien unruhiger als früher, schwieriger zu beruhigen und emotional labiler.

Angst, sich von Mutter und Vater zu trennen

Sie weinten leichter, reagierten mit Rückzug und schliefen schlechter. Außerdem würden sie nach zwei Jahren mit langen Phasen der Isolation Körperkontakt mit anderen Kindern oftmals nicht aushalten, auf Lautstärke ängstlich reagieren und im Umgang mit anderen Kindern ängstlicher und verunsichert reagieren. Außerdem hätten sie Angst, sich von Mutter und Vater zu trennen – ein Phänomen, das aber auch andersrum zu beobachten sei, betont Trümpert und berichtet weiter, dass einige Kinder auch hyperaktiv oder gar aggressiv reagierten.

„Insbesondere die Auswirkungen der fehlenden sozialen Kontakte sind massiv“, sagt die Tagesmutter – vor allem bei Kindern, die im Lockdown geboren wurden und eigentlich nur die eigenen Familienmitglieder kannten, zeige sich dies deutlich. „Etwa ein Drittel der Kinder reagiert mit negativen Verhaltensweisen. Andere sind erstaunlich gesund und augenscheinlich nicht belastet“, erklärt Trümpert, stellt aber gleichzeitig heraus, dass sich die Auswirkungen der Lockdowns gerade bei den Kleinsten aber auch erst später zeigen könnten. Mit in der interdisziplinären Runde sitzen (bisher) Vertreterinnen der drei Neustädter und der Momberger Kitas, des Kinderzentrums Weißer Stein Kirchhain, der Familienbildungsstätte, der auf Hebammen ausgerichteten „Steps“ des Vereins Juko Marburg und des Fachdienstes Frühe Kindheit des Landkreises Marburg Biedenkopf.

Als erste Schritte legten sie fest, dass dringend Krabbelgruppen und Spielplatztreffs wieder aufleben müssten – zum einen, um den sozialen Kontakt der Kinder untereinander zu fördern, aber auch, um den Austausch von Eltern zu unterstützen. Noch dazu sei es für die Entwicklung der Kinder wichtig, sich zu bewegen, zu laufen, zu klettern und sich auszuprobieren, so Trümpert. Außerdem sei angedacht, an verschiedenen Orten wieder „Themencafés“ mit unterschiedlichen Experten oder Referenten auszurichten. Doch im ersten Treffen der Runde ging es nicht nur um die Kinder: Auch die Sorgen von Eltern und vor allem Erzieherinnen und Erziehern kamen zur Sprache, berichtet Dieter Trümpert, der Vorsitzende des Neustädter Bürgervereins, der die Sitzung begleitete. Auch diese hätten schließlich unter der Pandemie gelitten – gleichzeitig aufgrund der Kontaktbeschränkungen aber kaum die Möglichkeit gehabt, sich darüber auszutauschen oder gar „aus dem eigenen Tunnel“ herauszukommen. Entsprechend seien auch Punkte festgezurrt worden, wie sich die Situation für das Personal von Kinderbetreuungseinrichtungen verbessern lasse: Bewegte Pausen sollten gefördert werden, schließlich lasse sich durch Bewegung auch ein Stück weit der Kopf abschalten.

Interdisziplinäre Runde künftig einmal im Quartal

Des Weiteren seien „Team-Zeiten“ angedacht, in denen sich das Personal beispielsweise vor fachlichen Sitzungen zu persönlichen Themen austauschen soll – damit Kollegen eben nicht nur Kollegen sind, sondern auch der Mensch zum Vorschein kommt. Außerdem seien Supervisionen ein geeignetes Instrument, um durch den Blick von außen Veränderungen herbeizuführen. „Es war wichtig, dass die Teilnehmerinnen auch mal Frust loswerden konnten.

Das ist geschehen – und so können sie mit Schwung ins zweite Treffen gehen, das für Juni geplant ist“, sagt Dieter Trümpert und berichtet, dass die interdisziplinäre Runde keine einmalige Veranstaltung war, sondern Treffen künftig einmal im Quartal stattfinden sollen (und zwischendrin die Vernetzung insbesondere im Ostkreis und vor allem in Neustadt via E-Mail gefördert wird). Zudem ergänzt er, dass es auch noch eine „To-Do-Liste“ gibt: So soll nun geklärt werden, wie sich Supervisionen oder Fortbildungen finanzieren oder fördern ließen.