Mit dem U-Boot hinunter bis ins Mittelalter

Neue Stadtschrift beschreibt die Entstehungszeit von Neustadt
Von Stefan Dietrich
Neustadt. Wie sah Neustadt aus, als die Stadt gegründet wurde? Im kommenden Jahr feiert die Stadt 750 Jahre urkundliche Ersterwähnung. Die Feierlichkeiten sollen aufgrund der Pandemie erst im April beginnen. Ein Anlass, einen Blick zurückzuwerfen auf die Entstehung der Stadt. Das haben Andrea Freisberg und Gerhard Bieker in rund zwei Jahren Recherchearbeit getan.

Das Ergebnis stellten sie gemeinsam mit Bürgermeister Thomas Groll am Freitag im historischen Rathaus vor. „Eine NEUeSTADT entsteht“, heißt das Buch. Die besondere Schreibweise des Titels verbindet den heutigen Stadtnamen mit der frühen Geschichte, als die „neue Stadt“ auf lateinisch „Nova Civitas“ genannt wurde.

„Wir wollten nicht an der Oberfläche bleiben, sondern tief in die Geschichte eintauchen“, beschrieb Bieker die Arbeit an den rund 80 Buchseiten. Er verglich die Recherche mit einem U-Boot-Tauchgang. Denn eigentlich mussten Freisberg und Bieker noch tiefer in die Vergangenheit hinab als ins Jahr 1272, in dem Neustadt erstmals urkundlich erwähnt wurde.

Die Gründung muss vorher gewesen sein, etwa um das Jahr 1250. „Wir haben lange gesucht, aber keine Stadtgründungs-Urkunde gefunden“, sagte Bieker, „nur Indizien“. Anhand derer konnten sie sich dennoch ein relativ genaues Bild von der Zeit der Stadtgründung machen.

Stadtgründer wollte Marktgebühren einnehmen

Der Stadtgründer dürfte demnach Graf Ludwig von Ziegenhain-Nidda gewesen sein. Gemäß der Teilungsurkunde der Grafschaften Nidda und Ziegenhain durfte er Städte nur südlich der Straße „Lange Hessen“ gründen. Im nördlichsten Zipfel seines Gebietes entstand Neustadt. Auch im Neustadt-Gedicht, das viele Menschen kennen, ist von dem Stadtgründer Ludwig die Rede.

Aber der habe Neustadt nicht etwa als Sitz einer Burg gegründet, sondern es sei ihm um den Markt gegangen. „In die Mitte gehört eigentlich die Kirche oder das Rathaus – in Neustadt nicht“, erläuterte Bieker. „In die Mitte haben die Neustädter den Markt gesetzt.“ Das Geschäftsmodell des Grafen seien die Marktgebühren gewesen – deshalb auch die Münze auf dem Buchtitel.

In der damaligen Zeit habe es in den meisten Dörfern nur einen Handwerker gegeben, nämlich den Schmied – mehr Handwerker habe ein Dorf nicht ernähren können, erzählte Bieker. Handwerker lebten in den Städten. Der wichtigste Zulieferer für den Neustädter Markt sei das Kloster Haina gewesen: „Die Klöster waren die einzigen Überproduzenten, alle anderen konnten nur für ihren eigenen Bedarf produzieren.“

Bürgermeister schlägt Fortsetzung vor

Freisberg und Bieker beschäftigen sich schon lange mit der Neustädter Geschichte. „Wir sind schon ein eingespieltes Team“, sagte Freisberg. Gemeinsam haben sie die Stadtchronik „Nova Civitas“ verfasst. Freisberg hat bereits 2011 Tafeln am kulturhistorischen Rundweg mit Informationen über die Geschichte Neustadts gestaltet.

Bieker ist Stadtführer in Neustadt und Vorsitzender des Kulturhistorischen Vereins. In dem neuen Buch beschäftigen sie sich mit den ersten hundert Jahren von Neustadt, also mit der Zeit von 1250 bis 1350.

Das sei ein erster Band, auf dem weitere aufbauen könnten, sagte Bieker. Bürgermeister Groll ermunterte das Autoren-Team zu einer Fortsetzung – schlug aber vor, zwischen dem ersten und zweiten Band ein paar Jahrhunderte zu überspringen.

Der Kulturhistorische Verein und das hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst hatten das Buchprojekt finanziell unterstützt. An der Vorstellung des Buches nahm neben historisch interessierten Neustädterinnen und Neustädtern auch Albert-Frederick Freiherr von Dörnberg teil, ein Nachfahre der Neffen von Hans von Dörnberg, nach dem der Junker-Hansen-Turm benannt ist. „Ich freue mich auf dieses Buch“, sagte von Dörnberg und lobte das Traditionsbewusstsein der Menschen in Neustadt.

Ganz traditionsbewusst war auch der Imbiss, den es nach der Buchvorstellung gab: Helga Bieker und Karin Neitzert-Schmandt hatten einen typisch mittelalterlichen Bohneneintopf gekocht. Dazu gab es Bier, weil „das Wasser im Mittelalter nicht zu trinken war“, wie Gerhard Bieker erklärte. Er und Freisberg trugen sich zudem noch ins Goldene Buch von Neustadt ein.

Das Buch „Eine NEUeSTADT entsteht“ ist bei der Stadtverwaltung im Rathaus-Nebengebäude, Zimmer 2, zum Preis von 7,90 Euro erhältlich.