Erst wird renoviert, dann sollen Kinder dort ein neues Zuhause erhalten
Von Florian Lerchbacher
Momberg. Es ist eines der schönsten Gebäude, liegt idyllisch zwischen der alles überragenden Kirche und dem umgestalteten Dorfteich – und stand viele Jahre lang leer. Doch nun hat das Momberger Wirtshaus im Marburger St.-Elisabeth-Verein einen neuen Eigentümer gefunden und soll bald Kindern, die eigentlich nie eine echte Heimat hatten, eben jene bieten. Allerdings muss im Zuge der Renovierung noch zwingend ein ungebetener Untermieter aus dem Gebäude entfernt werden: Der Holzwurm hat einige Stellen befallen. Einfach gesagt: Solange der nicht geht, geht nichts.
Die Idee, eine Wohngruppe für „hochbelastete“ Kinder im Alter von vier bis sieben Jahren einzurichten, gebe es innerhalb des Vereins schon seit rund anderthalb Jahren, berichtet die für diesen Bereich beim Verein zuständige Leiterin Melanie Kaminski. Der Plan sei von Anfang an gewesen, eine Immobilie im ländlichen Raum zu finden, in der die Kinder auf einer Etage zusammenleben können. Zahlreiche Gebäude seien nicht in Frage gekommen, doch als sie das ehemalige Wirtshaus betreten hätten, sei sofort klar gewesen: Das ist es.
Allerdings: Das Momberger Wirtshaus ist eben auch das Vereinsheim des Gesangvereins – dessen Mitglieder dort natürlich weiter proben wollen. Und so galt es zunächst, herauszufinden, ob dies mit einer Wohngruppe für Kinder kompatibel sei und es überhaupt möglich ist, dass unten gesungen und oben geschlafen wird, erinnert sich Geschäftsbereichsleiter Marco Schewe. Also seien Vertreter des Elisabeth-Vereins und Sänger zu einem Ortstermin zusammengekommen. Zwar durften die Momberger aufgrund der Corona-Pandemie ihre Stimmen nicht erklingen lassen, sie drehten dafür aber im Proberaum Musik auf. „Und dann war klar, dass es passt“, sagt Schewe.
Die Mitglieder des Gesangvereins dürfen den Proberaum auch dann noch nutzen, wenn die Kinder eines Tages im Wirtshaus wohnen. Allerdings ist der Plan, den Raum etwas umzugestalten, damit ihn auch die Kinder nutzen können. Und auch im Kneipenraum dürfen sich die Sänger weiter treffen – ihn allerdings nicht mehr auch für andere Gäste öffnen. Mit dieser ungewöhnlichen Kooperation möchte der Elisabeth-Verein direkt zeigen, dass die Kindergruppe sich unbedingt integrieren und Teil des Dorflebens werden möchte.
Das ist auch ein Grund, warum der Elisabeth-Verein unbedingt eine Immobilie auf dem Land nutzen wollte: Auf dem Dorf sei es viel einfacher, Teil der Gemeinschaft zu werden – ein Gefühl, das die Kinder in ihren bisherigen Leben wahrscheinlich nie hatten. „Sechs Kinder, sechs Geschichten“, sagt Kaminski über die traurigen Hintergründe. Eins sei ihnen allen gemein: Sie wurden nicht angemessen versorgt und hätten in ihrem bisherigen Leben nicht einfach nur Kind sein dürfen. „Da gibt es einiges nachzuholen. Die Kinder brauchen Nähe, Wärme, Zugewandtheit“, betont Kaminski, während Schewe ergänzt: „Vor allem brauchen sie einen heilsamen, sicheren Ort.“ Ziel sei, dass die Kinder möglichst viele Jahre gemeinsam in der Wohngruppe leben – die eine Art Ersatzfamilie für sie werden soll.
Der Ansatz, ein solches Projekt auf den Weg zu bringen, liege darin begründet, dass es immer weniger Pflegefamilien gebe, in denen die Kinder unterkommen können. Entsprechend sei es notwendig, Alternativen zu finden. Sechs Betreuende sollen sich insgesamt um sie kümmern – tagsüber werden zwei anwesend sein, nachts einer.
Die Wohnfläche des ehemaligen Wirtshauses beträgt rund 450 Quadratmeter. Im Obergeschoss sollen die Kinder wohnen. Es ist geplant, dass dort ein Wohn- und ein Esszimmer und eine Küche entstehen. Hinzu kommen sechs Kinder- und ein Badezimmer sowie ein Raum für die Betreuer. Außerdem gehören zum Wirtshaus ein großer Garten und eine Scheune – für deren weitere Nutzung der Verein noch keinen Ansatz hat. Allerdings muss, bevor die Kindergruppe einziehen kann, das Gebäude nahezu komplett saniert werden. Die Baugenehmigung liegt laut Schewe vor – doch bisher bremst der Holzwurm die Renovierung aus. Entsprechend gibt es auch noch keinen Zeitplan, wann die Kindergruppe einziehen könnte.
Ortsvorsteher Jörg Grasse bedauert, dass es zu Verzögerungen kommt – und freut sich, dass das „wichtige Gebäude, das in exponierter Lage mitten im Dorf liegt“, wieder mit Leben gefüllt wird: „Ich finde es hervorragend. Das tut uns als Ort gut.“ Er glaubt, dass die Kinder sich gut ins Dorfleben integrieren lassen. Wichtig ist ihm, auch noch einmal mit Gerüchten aufzuräumen: Oft gebe es auch mal Probleme mit Wohngruppen, in denen lauter Heranwachsende leben. „Es handelt sich hier aber nicht um Jugendliche, sondern um Kinder, die in Momberg aufwachsen werden, hier in den Kindergarten und später in die Grundschule gehen werden. Mit etwas gutem Willen werden wir sie schnell integrieren und zu einem Teil von uns machen können.“